Chronik.Ereignis1033 Feldzug Raschtulswall 12: Unterschied zwischen den Versionen
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Jäh endete der Pfad zwischen verschneiten Klippen. Ein riesiger Gletscher zog sich vor Richeza den Kamm hinauf. Mit klammen Fingern löste die Edle einen der Äste von ihrem Rucksack. Er war nicht lang genug, um als Wanderstab zu dienen, aber wenigstens hatte sie überhaupt etwas, um sich auf dem verschneiten Boden voranzutasten. Als sie die restlichen Äste wieder verschnürte, war ihre Fackel so weit heruntergebrannt, dass sie sie gegen die vorletzte austauschen musste. | Jäh endete der Pfad zwischen verschneiten Klippen. Ein riesiger Gletscher zog sich vor Richeza den Kamm hinauf. Mit klammen Fingern löste die Edle einen der Äste von ihrem Rucksack. Er war nicht lang genug, um als Wanderstab zu dienen, aber wenigstens hatte sie überhaupt etwas, um sich auf dem verschneiten Boden voranzutasten. Als sie die restlichen Äste wieder verschnürte, war ihre Fackel so weit heruntergebrannt, dass sie sie gegen die vorletzte austauschen musste. | ||
Nach etwa einem Wasserlauf wichen die Felsen zu beiden Seiten zurück und gaben den Blick frei auf die umliegenden Berge. Der Gletscher strahlte genug Helligkeit ab, um auch die Spitzen des Djer Kalkarif ausmachen zu können. Zwei lagen unter Richeza, zwei noch vor ihr. Die höchste Zacke wies wie ein Dorn in den Himmel. Unmöglich sie zu erklimmen. Zumal, wie die Edle nun entsetzt feststellte, eine tiefe Schlucht sie von dem höchsten Gipfel des Berges trennte. Falls ein Weg dort hinauf führte, so nicht von hier. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als das Feuer auf dieser Spitze zu entzünden. Doch dazu musste sie so weit wie möglich nach Südwesten. Wo aber war das? Die Sterne waren längst verschwunden, und selbst der Mond schimmerte nur schwach durch die Wolkendecke. Es blieb Richeza nichts anderes übrig, als sich anhand der | Nach etwa einem Wasserlauf wichen die Felsen zu beiden Seiten zurück und gaben den Blick frei auf die umliegenden Berge. Der Gletscher strahlte genug Helligkeit ab, um auch die Spitzen des Djer Kalkarif ausmachen zu können. Zwei lagen unter Richeza, zwei noch vor ihr. Die höchste Zacke wies wie ein Dorn in den Himmel. Unmöglich sie zu erklimmen. Zumal, wie die Edle nun entsetzt feststellte, eine tiefe Schlucht sie von dem höchsten Gipfel des Berges trennte. Falls ein Weg dort hinauf führte, so nicht von hier. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als das Feuer auf dieser Spitze zu entzünden. Doch dazu musste sie so weit wie möglich nach Südwesten. Wo aber war das? Die Sterne waren längst verschwunden, und selbst der Mond schimmerte nur schwach durch die Wolkendecke. Es blieb Richeza nichts anderes übrig, als sich anhand der Höhe der umliegenden Berge zu orientieren. Doch deren Gipfel waren verhangen, sodass es schwer war, die Richtung zu bestimmen. | ||
Mit sinkendem Mut tastete die Edle sich voran, kaum mehr aufwärts, sondern nur noch dorthin, wo sie Südwesten vermutete. Zweimal brach sie tief im Schnee ein, und es kostete sie ihre letzten Kräfte, sich wieder herauszukämpfen. Allein ihr Wille trieb sie voran. Aufgeben kam nicht infrage, das wäre ihr Tod. Endlich gelangte sie an einen Hang, von dem aus sie weit über die niedrigeren Berge blicken konnte, als das Madamal sich kurz zwischen den Wolken hindurch wagte. Richeza suchte die Umgebung mit den Augen ab, ließ sich Zeit, bis sie sich sicher war, tatsächlich nach Südwesten zu schauen. Sie hatte nur eine Gelegenheit. Wenn sie das Feuer nicht dort errichtete, wo es von Keshal Rondra aus sichtbar war, war alle Mühe umsonst gewesen. | Mit sinkendem Mut tastete die Edle sich voran, kaum mehr aufwärts, sondern nur noch dorthin, wo sie Südwesten vermutete. Zweimal brach sie tief im Schnee ein, und es kostete sie ihre letzten Kräfte, sich wieder herauszukämpfen. Allein ihr Wille trieb sie voran. Aufgeben kam nicht infrage, das wäre ihr Tod. Endlich gelangte sie an einen Hang, von dem aus sie weit über die niedrigeren Berge blicken konnte, als das Madamal sich kurz zwischen den Wolken hindurch wagte. Richeza suchte die Umgebung mit den Augen ab, ließ sich Zeit, bis sie sich sicher war, tatsächlich nach Südwesten zu schauen. Sie hatte nur eine Gelegenheit. Wenn sie das Feuer nicht dort errichtete, wo es von Keshal Rondra aus sichtbar war, war alle Mühe umsonst gewesen. | ||
Die Edle ließ den Rucksack zu Boden sinken und band die zurechtgeschnittenen Äste los. Sie konnte das Holz nicht einfach im Schnee entzünden. Das Schmelzwasser würde das Feuer löschen, ehe es richtig in Gang kam. Sie steckte die Fackel in den Schnee, sorgsam darauf bedacht, dass sie nicht umfiel und fegte mit dem Säbel Schnee von einem Felsblock. Drei Äste legte sie nebeneinander auf den Felsen und drei weitere quer dazu oben drauf. Wie furchtbar wenig Holz sie hatte! Der Turm, den sie errichtete, war viel niedriger, als sie sich ihn wünschte. | Die Edle ließ den Rucksack zu Boden sinken und band die zurechtgeschnittenen Äste los. Sie konnte das Holz nicht einfach im Schnee entzünden. Das Schmelzwasser würde das Feuer löschen, ehe es richtig in Gang kam. Sie steckte die Fackel in den Schnee, sorgsam darauf bedacht, dass sie nicht umfiel, und fegte mit dem Säbel Schnee von einem Felsblock. Drei Äste legte sie nebeneinander auf den Felsen und drei weitere quer dazu oben drauf. Wie furchtbar wenig Holz sie hatte! Der Turm, den sie errichtete, war viel niedriger, als sie sich ihn wünschte. | ||
Und sie brauchte Zunder! Doch alles, was sie in ihrem Rucksack fand, war ein Tuch, in das die Frau des Schulzen die Vorräte eingeschlagen hatte. Richeza leerte ein Krüglein Brand über dem Stoff aus, das Guiterriz ihnen gegen die Kälte mitgegeben hatte. Dann stopfte sie das Tuch zwischen die Äste und entzündete es mit der Fackel. Der Stoff ging sofort in Flammen auf, doch das feuchte Holz | Und sie brauchte Zunder! Doch alles, was sie in ihrem Rucksack fand, war ein Tuch, in das die Frau des Schulzen die Vorräte eingeschlagen hatte. Richeza leerte ein Krüglein Brand über dem Stoff aus, das Guiterriz ihnen gegen die Kälte mitgegeben hatte. Dann stopfte sie das Tuch zwischen die Äste und entzündete es mit der Fackel. Der Stoff ging sofort in Flammen auf, doch das feuchte Holz geriet nur langsam in Brand. Schließlich steckte die Edle die Fackel selbst unter die aufgeschichteten Äste. Nun blieb ihr nur eine Fackel für den Rückweg, dachte sie bang, als sie sie entzündete. Immerhin schlugen die Flammen jetzt höher. | ||
Für einen Moment spielte Richeza mit dem Gedanken, die Götter um Hilfe anzurufen, die Amazonen das Feuer entdecken zu lassen. Mochte Rondra ihrer Tante beistehen, die ihr stets treu gedient hatte! Doch ihr bitterer Stolz hieß sie, der Versuchung zu widerstehen. Die Götter hatten ihren Gebeten noch nie Gehör geschenkt! Wenn sie das Feuer an der falschen Stelle errichtet hatte, konnten auch die Götter ihr nicht helfen. Und wenn die Amazonen es sahen, so war es ihr, Richezas Verdienst, nicht der der Götter, dachte sie trotzig. | Für einen Moment spielte Richeza mit dem Gedanken, die Götter um Hilfe anzurufen, die Amazonen das Feuer entdecken zu lassen. Mochte Rondra ihrer Tante beistehen, die ihr stets treu gedient hatte! Doch ihr bitterer Stolz hieß sie, der Versuchung zu widerstehen. Die Götter hatten ihren Gebeten noch nie Gehör geschenkt! Wenn sie das Feuer an der falschen Stelle errichtet hatte, konnten auch die Götter ihr nicht helfen. Und wenn die Amazonen es sahen, so war es ihr, Richezas Verdienst, nicht der der Götter, dachte sie trotzig. | ||
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Ein urtümlicher, klagender Schrei durchdrang die Stille und ließ der Edlen das Blut in den Adern gefrieren. Was war das? Es war nicht fern gewesen, aber von dort gekommen, wo sie den Abgrund wähnte! Mit rasendem Herzen lauschte sie, doch das Geräusch kam nicht wieder. Es gab zahlreiche Ungeheuer im Raschtulswall. Wölfe, Berglöwen und unheimliche Glutlinge. Gegen Vier- und Vielbeiner mochte sie sich vielleicht noch verteidigen, falls diese überhaupt in diese Höhen vordrangen. Was aber, wenn ihre Fackel von einem fliegenden Räuber entdeckt wurde? Harpyien gab es hier. Drachen sogar. | Ein urtümlicher, klagender Schrei durchdrang die Stille und ließ der Edlen das Blut in den Adern gefrieren. Was war das? Es war nicht fern gewesen, aber von dort gekommen, wo sie den Abgrund wähnte! Mit rasendem Herzen lauschte sie, doch das Geräusch kam nicht wieder. Es gab zahlreiche Ungeheuer im Raschtulswall. Wölfe, Berglöwen und unheimliche Glutlinge. Gegen Vier- und Vielbeiner mochte sie sich vielleicht noch verteidigen, falls diese überhaupt in diese Höhen vordrangen. Was aber, wenn ihre Fackel von einem fliegenden Räuber entdeckt wurde? Harpyien gab es hier. Drachen sogar. | ||
Immer wieder furchtsam aufblickend, setzte Richeza ihren Weg fort. Als der Schrei abermals ertönte, erschrak sie so sehr, dass sie stürzte. Schlitternd versuchte die Edle Halt zu finden und gleichzeitig, | Immer wieder furchtsam aufblickend, setzte Richeza ihren Weg fort. Als der Schrei abermals ertönte, erschrak sie so sehr, dass sie stürzte. Schlitternd versuchte die Edle Halt zu finden und gleichzeitig, das langgezogene, animalische Heulen zu orten. Es klang nach keinem Wesen, das sie kannte. Das Brüllen eines Dämons aus den Niederhöllen! Steine lösten sich unter Richezas Füßen und Händen, die hilflos ins Leere griffen. Ihr Gesicht schrammte über den gefrorenen Boden, allein der Harnisch verhinderte, dass sie sich den Bauch an scharfkantigen Felsvorsprüngen aufriss. Zugleich aber beschleunigte der glatte Stahl ihre Rutschpartie. Unsanft wurde sie gegen einen Felsen geschleudert, überschlug sich, stürzte ... Die Fackel entglitt ihrer Hand, dann kam Richeza hart auf dem Boden auf, blieb liegen, sah, wie die Fackel weiter fiel, ein kleines Licht, das durch die Dunkelheit sauste, tiefer, tiefer, und ihrem Blick entschwand. | ||
Die Finsternis war vollkommen. Hier war der Boden kaum mit Schnee bedeckt, der Licht hätte zurückwerfen können, aber die sachten Berührungen an ihren Wangen sagten ihr, dass es noch schneite, und es nur eine Frage der Zeit war, bis der Schnee ein weißes Leichentuch über sie gebreitet hatte. Angst und Erschöpfung trieben Richeza die Tränen in die Augen. Schwach tastete sie um sich. War sie noch auf dem Weg? Wie weit war der Abgrund entfernt, in dem ihr Licht verschwunden war? Sie konnte nicht weiter! Aber sie konnte auch nicht hierbleiben. | Die Finsternis war vollkommen. Hier war der Boden kaum mit Schnee bedeckt, der Licht hätte zurückwerfen können, aber die sachten Berührungen an ihren Wangen sagten ihr, dass es noch schneite, und es nur eine Frage der Zeit war, bis der Schnee ein weißes Leichentuch über sie gebreitet hatte. Angst und Erschöpfung trieben Richeza die Tränen in die Augen. Schwach tastete sie um sich. War sie noch auf dem Weg? Wie weit war der Abgrund entfernt, in dem ihr Licht verschwunden war? Sie konnte nicht weiter! Aber sie konnte auch nicht hierbleiben. | ||
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Auf allen Vieren kroch sie aufwärts, Handbreit für Handbreit, tastete nach den Felsen, die sie in der Dunkelheit kaum erahnen konnte. Da, ein Überhang! Es schien dort windgeschützter. Zitternd nahm die Edle den Rucksack ab und kroch unter den Stein. Vielleicht war sie hier vor dem Schnee sicher! Sie zerrte die Decke aus dem Rucksack und versuchte, den vereisten Harnisch auszuziehen. Aber ihre steifen Finger vermochten die Schnallen nicht zu öffnen. Schließlich gab sie auf und zog Umhang und Decke über den Kopf. | Auf allen Vieren kroch sie aufwärts, Handbreit für Handbreit, tastete nach den Felsen, die sie in der Dunkelheit kaum erahnen konnte. Da, ein Überhang! Es schien dort windgeschützter. Zitternd nahm die Edle den Rucksack ab und kroch unter den Stein. Vielleicht war sie hier vor dem Schnee sicher! Sie zerrte die Decke aus dem Rucksack und versuchte, den vereisten Harnisch auszuziehen. Aber ihre steifen Finger vermochten die Schnallen nicht zu öffnen. Schließlich gab sie auf und zog Umhang und Decke über den Kopf. | ||
Sie durfte nicht schlafen! So sehr sie vor wenigen Tagen den Schlaf herbeigesehnt hatte, so sehr kämpfte sie jetzt gegen ihn an. Bitte, beschwor sie, allen Stolz vergessend, die Götter, bitte, lasst mich hier nicht sterben! Nun betete sie doch. Wimmernd wie ein Kind flehte sie um ihr Leben. Darum, nicht von dem | Sie durfte nicht schlafen! So sehr sie vor wenigen Tagen den Schlaf herbeigesehnt hatte, so sehr kämpfte sie jetzt gegen ihn an. Bitte, beschwor sie, allen Stolz vergessend, die Götter, bitte, lasst mich hier nicht sterben! Nun betete sie doch. Wimmernd wie ein Kind flehte sie um ihr Leben. Darum, nicht von dem Ungetüm zerrissen zu werden, das sie so in Schrecken versetzt hatte. Nicht einzuschlafen und zu erfrieren. Nur nicht einzuschlafen ... Sie musste zurück, sobald es hell wurde. Sie durfte nicht ... einschlafen ... Musste ... | ||
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=====25. Praios===== | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Moritatio erhob sich mit schmerzendem Rücken und stechendem Nacken von seinem harten, unbequem Steinlager unter dem Felsvorsprung, unter dem sie die Nacht verbracht hatten. Die ersten Vögel hatten zu zwitschern begonnen, und gen Rahja war das erste Sonnenlicht auszumachen, auch wenn sich das Praiosrund noch lange nicht über die himmelhohen Gipfel erhoben hatte, die sie ringsum wie eine titanischer Ringmauer umgaben. Dom Gendahar und Zaida schliefen offenbar noch, sodass er sich so leise wie möglich erhob und die verkrampften Schultern zur Lockerung kreisen | |||
ließ. Er trat nach draußen und ging einige Schritte hinter einen Mastixbusch, um in der morgendlichen Eiseskälte erst einmal sein Wasser abzuschlagen. Ihr Götter war das kalt geworden! Sein gelber Urinstrahl dampfte in der eiskalten Luft und konnte dort, wo er plätschernd niederging, nicht im Erdreich versinken, denn der Boden war hartgefroren. Nachtfrost im Praiosmond? | |||
Er sah sich genauer um und stellte mit Schrecken fest, dass der normalerweise fünffach gezackte Gipfel des Djer Kalkarif wegen tiefhängender Firnwolken oder Nebel nicht zu erkennen war. Wie sollte Richeza so den Rückweg und einen sicheren Abstieg finden - wenn sie denn überhaupt in der Nacht bis zum Gipfel vorgedrungen war. Bei Dunkelheit und bei einem solchen Wetter erschien ihm das mit einem Male nahezu ausgeschlossen, und er machte sich Vorwürfe, sie überhaupt alleine gehen gelassen zu haben. Missmutig ging er zu den beiden anderen zurück, die sich in der beißenden Kälte unter ihren Decken wie Säuglinge zusammengerollt hatten. Er stieß den Thangolforster mit der Fußspitze an. | |||
"He, Dom Gendahar! Wacht auf! Richeza ist noch nicht zurück und bei dieser dicken Nebelsuppe | |||
bezweifele ich auch, dass sie uns überhaupt wiederfinden kann. Wir sollten normalerweise lärmen oder ein großes Feuer als Hinweis für sie entfachen - aber wenn Ferkinas in der Gegend hier herumstreifen, wäre das mit Sicherheit keine gute Idee. Ich würde deshalb vorschlagen, dass wir selbst auf den Berg hinaufsteigen und nach ihr suchen. Eventuell stoßen wir dabei auch Eure heißen Quellen, nach denen Ihr Euch sehnt." | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Richeza erwachte, weil ihr kalt war. Die Finger in den ledernen Handschuhen schmerzten, als hätte das Eis sich direkt in ihr Fleisch gebohrt. Die Kanten des Harnischs brannten auf ihrer Haut. Schnee bedeckte ihre Beine bis über die Knie. Richeza schlug die Decke zurück, die nass und schwer war. Ihren Füßen fehlte jedes Gefühl. Die Edle klopfte den Schnee von der Decke und stopfte sie in den Rucksack. Sie holte das Brot hervor. Es war mit Eiskristallen bedeckt und zu hart, um einfach hineinbeißen zu können. Richeza fingerte den Dolch aus ihrem Stiefel und schnitt mit klammen Fingern ein Stück Brot ab. Der gefrorene Bissen schmerzte an ihren Zähnen, Eiswasser lief ihre Kehle hinab. | |||
Es war noch dunkel, aber die Gipfel des Raschtulswalls umgab schon ein Flammensaum. Glühende Nebelschwaden stiegen von den Bergen auf. Majestätisch ragte der [[avwik:Djer Tulam|Djer Tulam]] in den Himmel empor. Über ihm verblassten die Sterne. | |||
Richeza beendete ihr karges Mahl, als die ersten Sonnenstrahlen den Djer Kalkarif erreichten. Sie fror erbärmlich, aber sie hatte nichts, um Feuer zu machen. Sie verstaute den Rest Brot in ihrem Rucksack und kroch unter dem Überhang hervor, unter dem sie geschlafen hatte. Keine vier Schritt von ihr fiel der Felsen jäh ab. Zwanzig Schritt tiefer verschwand die Flanke des Berges in der Wolkendecke. Die Edle blickte in die andere Richtung. Zwei Mann hoch ragte die Felswand über ihr auf. Vom Weg war nichts zu sehen. Aber er musste irgendwo über ihr sein. Es half nichts: Sie musste dort hinauf. | |||
Es dauerte lange, bis Richeza eine Stelle gefunden hatte, an der sie ein Seil befestigen konnte. Noch länger dauerte es, bis sie sich das Seil um den Bauch geschlungen, den Rucksack an einem Ende befestigt und eine Schlinge am anderen Ende geknüpft hatte. Wieder und wieder warf sie das Seil zu dem Vorsprung hinauf, an dem sie sich hochziehen wollte, wieder und wieder verfehlte sie ihn, und das Seil kam zurück. Benommen von Müdigkeit und Kälte machte sie weiter. Es schien ihr wie eine Ewigkeit, bis sie traf und die Schlinge sich festzog, und es kostete sie alle Kraft, sich an der stellenweise vereisten Wand hochzuziehen. Mit zitternden Gliedern blieb sie oben liegen. Ihr pfeifender Atem schien ihr die Lunge zu zerreißen. | |||
Erst, als sie sich mühsam aufgerichtet, den Rucksack hochgezogen und das Seil losgeschnitten hatte, sah sie sich um. Hier war kein Weg! Vor ihr erstreckte sich ein verschneites Geröllfeld. Alles sah gleich aus. Es gab nichts, was sie von ihrem nächtlichen Aufstieg wiedererkannte. Sie wusste nicht, wohin sie sich wenden sollte. Richeza fluchte leise. Sie musste runter von diesem Berg. So schnell wie möglich. Aber wie, wusste sie nicht. Orientierungslos stolperte sie über die rutschigen Steine voran. Ihre tauben Füße gehorchten ihr kaum. Mehrmals rutschte sie ab. Verflucht, was hatte sie nur getan? Für wen lebte sie eigentlich ihr Leben? | |||
Endlich hörte der Schnee auf, der Boden wurde wieder fester. Wärmer wurde es jedoch nicht. Der Wind war kalt, die Wolken waren inzwischen zu allen Seiten. Allein die Helligkeit ließ darauf schließen, dass die Sonne bereits über die Berggipfel gestiegen war. | |||
Sie wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war, als sie unter sich den Weg erblickte, einen staubigen Pfad, der sich zwischen Felsklippen hindurch wand. Doch ohne zu klettern, würde sie ihn nicht erreichen. Zum Klettern aber war sie zu schwach. Es blieb Richeza nichts anderes übrig, als ihr Seil zu opfern – oder einen Umweg in Kauf zu nehmen. Das aber wollte sie auf keinen Fall. | |||
Schweren Herzens band die Edle ihr Seil an einem Felsen fest, befestigte es an ihrem Gürtel und machte sich an den Abstieg. Ihre Hände und Füße fanden kaum Halt; einmal trat sie daneben; das Seil glitt durch ihre Finger, ohne die Handschuhe hätte es ihr die Haut von den Händen gerissen. | |||
Als sie den Weg erreichte, raste ihr Herz, und ihre Knie zitterten so sehr, dass sie sich setzen musste. Schwindelnd lehnte sie sich an den kalten Stein. Wer würde ihr ihren Irrsinn je danken? Was hatte sie schon für Almada getan, wann immer sie ihre Klinge fürs Vaterland gehoben hatte? Ein paar Ferkinas ins Jenseits geschickt, ein paar Novadis ermordet und ein paar Garethknechte ... Und wer hatte es ihr gedankt? Niemand, der noch lebte? Und jetzt? Wen wollte sie jetzt beeindrucken? Ihre Tante, die vielleicht tot war? Praiodor, der nur ein Kind war? Fenia, die sich erst seit Ramiros Tod überhaupt bequemte, mit ihr zu reden? War es Dank, den sie erhoffte? Ruhm? Was sollte das alles? | |||
Ärgerlich rappelte Richeza sich auf und reckte sich, um wenigstens noch ein Stück des Seils loszuschneiden. Besser als nichts. Wer wusste, ob sie es nicht noch brauchte? Wenn sie das alles hier überlebte, musste sie aufhören, davonzulaufen. Sie konnte sich nicht länger etwas vormachen: Sie lebte nicht für selbstgesetzte Ziele. Lief nur der Furcht davon. Und wartete noch immer ... Damit musste Schluss sein! Mit zusammengepressten Zähnen lief sie weiter. Keine Zeit zum Nachdenken. Keine Kraft. Erst einmal musste sie überhaupt überleben. | |||
Der Weg führte abwärts, aber Richeza konnte nicht sagen, ob es derselbe Weg war, den sie nachts gegangen war. Bei Licht wirkten die Entfernungen anders, und die Details – Steine, Sträucher, vereinzelte Blumen – verwirrten sie mehr, als dass sie ihr halfen, sich zu erinnern. | |||
Ob es schon Mittag war? Allmählich knurrte ihr Magen. Sie hatte kaum etwas gegessen. Im Gehen zog die Edle das Brot hervor. Inzwischen war es getaut und matschig, ein nasser, kühler Brei, der nach dem Leder des Rucksacks schmeckte. Richeza würgte ihn hinunter, bis zum letzten Bissen. Sie hatte Hunger, und das Brot würde ohnehin verderben, wenn sie es jetzt nicht aß. | |||
Ihre Beine waren ein echtes Ärgernis. Noch immer spürte sie ihre Füße kaum, nur wenn sie umknickte, weil sie die Unebenheiten des Bodens nicht vorausahnte, schoss kurz ein heller Schmerz in ihren Knöchel, ließ aber bald nur ein dumpfes Pochen zurück. Ihren Körper aber schwächte jeder Fehltritt wie ein Säbelhieb, und ihre Beine versagten ihr immer öfter den Dienst. Sie strauchelte, stolperte, taumelte voran. Schließlich musste sie sich eingestehen, dass sie nicht mehr weiterkonnte. Sie musste eine Pause machen! Dort, an dem Felsblock am Wegesrand, da wollte sie rasten. Nein, besser doch erst nach der Biegung, vielleicht war es dort windgeschützter. Aber war da vorne nicht eine Abzweigung? Nur noch ... | |||
Nur ein Stein, ein winziges Hindernis, und sie schlug der Länge nach hin. | |||
Sie musste das Bewusstsein verloren haben. Als sie die Augen öffnete, sah sie Füße. Füße in abgetragenen Lederstiefeln. Den Saum eines geflickten Umhangs. Alarmiert hob sie den Kopf. Ein Ferkina? Ihr Schädel dröhnte. Sie blinzelte gegen das Licht. Ein Mann in einem dunklen Umhang, in der Hand einen knorrigen Stecken. Unter der weiten Kapuze zerrte der Wind blondes Haar hervor. Kein Ferkina. Nicht einmal ein Mann. Ein junger Bursche. Vielleicht sechzehn Sommer. Ein hübsches Gesicht mit hohen Wangenknochen. Die Augen glommen im Dunkel der Kapuze. | |||
Grob stieß der Junge sie mit dem Fuß gegen die Schulter, rollte sie auf den Rücken. Als sie nach ihrem Säbel tastete, rammte er ihr den Stab in die Hand. Ein dünnes Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. | |||
"Sieh an!", sagte er. Seine warme Stimme war wie Musik in ihren Ohren. Aber sein Lied gefiel ihr nicht. | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Moritatio blickte sich verärgert nach seinen beiden Begleitern um. Während der Thangolforster zum ersten Mal seit er ihn kennengelernt hatte wieder halbwegs bei Kräften und genesen ausschaute, waren die Belastungen der letzten Tage und nun der steile Aufstieg eindeutig zuviel für das Kind Zaida. Das sollte eine Waldwachterin sein, als die sie das Bergsteigen eigentlich gewohnt sein sollte? Immer öfter blieb sie stehen und musste verschnaufen und suchte mit angstgeweiteten Augen ihre Umgebung nach einem zuwandernswerten Ziel ab, obwohl es ringsum nichts zu entdecken gab außer Steinen und Nebel, Nebel, Nebel. Die dicke Suppe hing überall wie ein grauer Schleier um sie herum und verschluckte alles, was mehr wie 15 Schritt von ihnen entfernt lag. Wahrscheinlich war das in Wahrheit auch kein Nebel, sondern es waren einfach tiefhängende Schneewolken. Nein, "tiefhängend" war das falsche Wort, sie befanden sich hier sicher schon auf zweitausend Schritt Höhe, was sich langsam auch an der Atemluft bemerkbar machte, die dünn und eiskalt in Nase und Rachen stach, da der Aufstieg für sie alle hochanstrengend war. | |||
"Wie soll Richeza bei dieser Sicht den Rückweg finden?" rief Moritatio hinter sich. "Ich hoffe, sie läuft uns durch Zufall geradewegs in die Arme!"<br> | |||
"Das kann ich mir vorstellen. daß Ihr darauf hofft!" lächelte Dom Gendahar dünn. "Aber recht daran glauben mag ich nicht! Sie könnte geradewegs gleich da drüben an uns | |||
vorbeilaufen, ohne daß einer den anderen bemerken würde!"<br> | |||
Moritatio starrte angestrengt nach unten - war das unter seinen Füßen überhaupt noch "der Weg", den sie die ganze Zeit emporgeklettert waren - ein leicht ausgetretener Pfad | |||
wahrscheinlich von Schmugglern oder von einem versponnenen Eremiten und seinen Gemsen - oder einfach nur eine natürliche Schneise im Geröll, die ein Firunschlag oder eine | |||
Steinlawine einst gerissen hatte. Wenn es weiterhin der Weg zum Gipfel sein sollte, so stand er nun an einer Gabelung und keine der beiden Fortführungen sah sonderlich | |||
vielversprechend aus.<br> "Wie weiter? Rechts oder links?" wartete er, bis Dom Gendahar und Zaida de las Dardas zu ihm aufgeschlossen hatten.<br> | |||
"Da fragt Ihr mich?" zuckte der Thangolforster mit den Schultern. "Ihr seid hier aufgewachsen - nicht ich!"<br> | |||
"Ich sagte bereits, daß ich bloß ein einziges Mal als Kind in dieser Gegend war - was sollte ich hier wollen?" gab Moritatio gereizt zurück. | |||
Dom Gendahar nickte beschwichtigend und legte Zaida die Hand auf die Schulter. "Dann soll unser Kind hier entscheiden. Wie ich sie bisher kennengelernt habe, hat unsere kleine Zaida eine bessere Intuition wie wir alle zusammen!" Er beugte sich zu Zaida herab. "Welchen Weg würdest Du einschlagen?"<br> | |||
Die junge Waldwachterin, die inzwischen ihre Decke wie ein Kopftuch über der dicken schwarzen Lockenpracht trug, da es wieder leicht zu schneien begonnen hatte, schaute sich die beiden Wege kurz an und deutete dann auf den Linken. "Der da! Dort müssen wir lang!"<br> | |||
"Was? Ich hätte eher gesagt der Rechte" blickte sie Moritatio zweifelnd an. "Schaut doch nur, er ist viel steiler - wahrscheinlich führt er viel schneller zum Gipfel!"<br> | |||
"Ihr wolltet unsere Meinung hören", entgegnete der Streitziger, "aber jetzt gefällt sie Euch nicht. Ich schließe mich Zaida an. Der scheinbar direktere Weg muss nicht zwangsläufig auch der bessere sein."<br> | |||
Einen Moment lang war Moritatio hin- und hergerissen, ihnen dann eben hier die Trennung vorzuschlagen. Er war sich sicher, daß seine Cousine - wie er selbst - den steileren Weg gewählt hatte, falls sie sie ebenfalls an diese Weggabelung hier gelangt war. Ohne Zaida und Gendahar würde er wahrscheinlich besser vorankommen. Aber er hatte ja leider Richeza geschworen, bei ihnen zu bleiben und mit ihnen weiter nach dem Knaben Praiodor zu suchen, wenn sie nicht zurückkehrte - und wie es schien, kehrte sie nicht zurück... | |||
Er blickte den Weg zurück, den sie emporgekommen waren. Diese ganze Suche war eine Narretei, was gingen ihn ein niegesehener Knabe oder eine entführte Grafentochter an, da seine Mutter und sein Vater gefangen oder tot waren? Er sollte besser irgendwie zur Keshal Rondra zu seiner Schwester Gujadanya oder nach Wildenfest und Schrotenstein zu seiner Großtante Belisetha und seinem Onkel Lucrann eilen, die Amazonen und alle verfügbaren Waffenknechte der Familia zusammentrommeln und Praiosmin eine blutige Fehde liefern. Er musste diese Scharte auswetzen und das Castillo da Vanya oder besser gleich ganz Selaque von dieser widerlichen Tyrannin befreien! <br> | |||
"Schaut nicht zurück, Junge!" schob ihn der Thangolforster mit sanftem Nachdruck den linken der beiden Wege hinauf, als ob er seine Gedanken gelesen hätte. "Denkt daran, was Ihr Eurer hübschen Base versprochen habt - sie ist doch sicher die letzte, die Ihr enttäuschen wollt, hm?"<br> | |||
Moritatio knurrte etwas unverständliches als Antwort, wahrscheinlich irgendeine bosquirische Verwünschung, aber stieg tatsächlich finstergesichtig weiter den Weg bergan. <br> | |||
Gendahar zwinkerte Zaida verschwörerisch zu und bedeutete ihr in der Mitte vor ihm herzugehen. "Keine Angst! Wir sind schon so weit oben, es kann nicht mehr weit bis zum | |||
Gipfel sein." | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
"Sieh an, die Zungenklafferin!", sagte der Bursche. "Hat ihr Schandmaul nicht halten können. Und jetzt kommt sie mir zu Füßen gekrochen. Was für ein Zufall!" Ein abfälliges Grinsen verzerrte die Lippen des jungen Mannes. | |||
"Wer bist du?", stöhnte Richeza, der er fast die Hand gebrochen hatte. "Du musst mich verwechseln." | |||
Der Junge starrte die Edle finster an. Obwohl sein Gesicht im Schatten lag, konnte sie seine Augen erkennen. Fast, als leuchteten sie von sich aus. Etwas stimmte nicht mit dem Burschen. | |||
"So", sagte der nach einem Moment. "Da gibt sie vor, mich nicht zu kennen und spricht mich gleich vertraulich an. Ganz wie Ihr wünscht. Wie ''du'' wünschst, Miststück. Aufstehen!" Er versetzte ihr einen Tritt. | |||
Richeza rappelte sich auf, allein schon, um nicht länger auf dem kalten Boden liegen zu müssen, zumal es erneut zu schneien begann. Irritiert betrachtete sie den jungen Mann. Spielten ihr ihre Sinne einen Streich? Unwillkürlich fasste sie sich an den Kopf. Ihr Gesicht war ziemlich lädiert, dort wo es auf den Boden aufgeschlagen war. Eine dicke Beule wölbte sich an ihrer Stirn. | |||
"Das hat mein Vater Euch ... dir nie verziehen, dass du meinen Namen verraten hast. Es war unser Geheimnis, verstehst du? Wir haben dich nicht für so dumm gehalten, Geheimnisse zu verraten. Aber da haben wir uns wohl getäuscht. Nun, sei es drum: Wenn wir nicht Freunde sein können, wirst du mir eben dienen." | |||
Ungehalten runzelte Richeza die Stirn. Was bildete der Kerl sich ein? Und wer war er überhaupt? Ein Teil von ihr aber wähnte ihn noch immer ein Trugbild ihres müden Geistes. Das konnte doch nicht sein, dass sie all die Mühen im Raschtulswall auf sich genommen hatte, nur um von einem Knäblein beschimpft zu werden! Sie musste träumen. | |||
"Hör zu", seufzte sie, sich bewusst, dass es nur um so irrer war, mit einer Traumgestalt zu sprechen, "ich kenne dich nicht. Und deine Geheimnisse sind mir gleich. Aber wenn du meine Freundschaft willst, so gewinnst du sie gewiss nicht durch kecke Reden. Wenn du mir aber helfen magst ..." | |||
"Weder will ich deine Freundschaft, noch dir helfen", unterbrach sie der Junge barsch. "Du hast mich falsch verstanden", erklärte er mit hochmütigem Grinsen. "Du wirst mir dienen, solange du mir von Nutzen bist. Und dann wirst du schweigen ..." | |||
Er stockte und hob kurz den Kopf. Richeza nutzte die Gelegenheit und zog den Säbel. Doch der Bursche war schnell, und sein Stab traf ihren Brustpanzer mit einer solchen Wucht, dass sie durch die Luft geschleudert wurde und krachend zwischen einigen Felsen zu Boden fiel. Der Säbel flog aus ihrer Hand und blieb in einer Felsspalte stecken. Es musste ein Traum sein, dachte die Edle benommen, kein Mensch hatte eine solche Kraft ... | |||
Der Junge kletterte zu ihr und kauerte sich neben sie zwischen die Felsen. Stimmen. Da waren Stimmen im Nebel. Richeza versuchte, den Kopf zu heben, aber sie konnte sich nicht bewegen. Alles drehte sich um sie herum. Sie schmeckte Blut auf ihren Lippen. Jemand näherte sich auf dem Weg. Der junge Mann legte ihr die Hand auf den Mund. Sie bekam kaum Luft. Drei Menschen wankten in ihr Gesichtsfeld. Traumgestalten. Sie standen auf dem Kopf. Ihre Füße bewegten sich über die Steine, aber alles war verkehrt herum. Einer war blond und groß, hielt ein Mädchen an der Hand, kaum jünger als der Bursche, der ihr den Mund zudrückte. Der andere war ... | |||
"Mmm ...", machte Richeza. Ihr tonloser Seufzer erstickte zwischen den Fingern des jungen Mannes. Die Gestalten zogen vorüber. Der Junge nahm seine Hand fort und hob sie auf seine Arme. Kies knirschte überlaut unter seinen Füßen. Sein Ächzen donnerte der Edlen in den Ohren. Er flüsterte etwas - ein zischender Schmerz in ihrem Schädel. Im nächsten Moment war alles im Nebel versunken. Stille. Richeza fror. Dann wurde es schwarz um sie. | |||
*''Die Geschichte um Domna Richeza wird hier fortgesetzt: [[Chronik.Ereignis1033 Feldzug Ferkinalager 04|Schauplatz: Ferkinalager, Teil 04]].'' | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Schwitzend und frierend zugleich, blickte sich Moritatio nach Zaida und Gendahar um, die ihm gemäß den aufgestellten Kletterregeln ihrer Seilschaft | |||
mit fünf beziehungsweise zehn Schritt Abstand nachfolgten. Der An- und Ausblick war grandios! Sie waren nun oberhalb des Wolkenfluges, die weißgrauen Wolken | |||
breiteten sich hundert Schritt unter ihnen im Norden und Osten wie eine geschlossene Decke bis zum Horizont aus - als ob die ganze Welt nur aus einem | |||
grauweißen Meer aus Watte bestünde, aus dem die Gipfel der höchsten Berggiganten des Raschtulswalls wie Inseln aufragten. Vor und über ihnen aber erhoben | |||
sich die fünf schroffen Gipfelzacken des Djer Kalkarif leuchtend im Praioslicht in den stahlblauen Himmel. | |||
"Die Gipfel! Wir sind fast oben!", deutete Moritatio, überwältigt von der Schönheit dieses Augenblicks und voller Ehrfurcht vor dem Schöpfungswerk der Götter, | |||
auf die bizarren Felsen. Als Zaida und Gendahar zu ihm aufgeschlossen hatten und sie alle einen Moment niederknieten, um Atem zu holen und | |||
das Panorama auf sich wirken zu lassen, stellte er leiser fest: "Richeza ist nicht dort oben und sie ist uns auch nirgendwo begegnet. Entweder sie hat es in | |||
der Nacht nicht auf den Gipfel geschafft und ist abgestürzt, oder sie hat bei dem Nebel den Abstieg nicht mehr gefunden und ist irgendwo anders herabgestiegen. | |||
Ich hätte sie nicht alleine gehen lassen sollen, verflucht!" | |||
Er wartete, daß ihn die kleine Waldwachterin oder der Thangolforster beschwichtigten oder ihm zumindest zustimmten - aber als von ihrer Seite aus keinerlei Erwiderung | |||
kam, wandte er sich zu den zweien um, die beide nach unten, nach Westen starrten. | |||
"Was ist?" | |||
"Da unten!", deutete Dom Gendahar auf ein größeres Felsplateau, etwa eine Meile weiter unten am Steilhang des Djer Kalkarif. "Sind das Zelte - primitive Zelte? Das was | |||
zwischen ihnen herumwuselt scheinen mir Ziegen oder vielleicht auch kleine Pferde zu sein. Und da! Da treten Menschen aus dem einen Zelt!" | |||
"Blutsäufer!", berichtigte Moritatio. "Es ist wirklich ein Lager - das ... äh, 'Dorf' eines Ferkina-Stammes! Mögen die guten Götter geben, daß ihnen Richeza nicht in die | |||
Hände gefallen ist ... und auch, daß sie uns nicht entdecken!" | |||
Dom Gendahar schien anders über die Sache zu denken, denn er begann zu lächeln: "Gut, daß wir diesen Wildenpfuhl gefunden haben. Möglicherweise wird Romina genau hier | |||
gefangengehalten." | |||
Moritatio schüttelte den Kopf: "Wenn ja, dann bestünde kaum Hoffnung, daß sie noch am Leben ist. Was glaubt Ihr, wie diese Barbaren mit weiblichen Gefangenen umspringen? | |||
Meine Mutter war ihnen als junges Mädchen in die Hände gefallen - sie hat mit mir niemals ein einziges Wort über ihre Zeit bei den Wilden gesprochen - aber ich konnte | |||
spüren, daß ihr allein die Erinnerung an diese Zeit bis zuletzt Qualen und Schmerz und Wut bereitete." | |||
Er wischte sich mit dem Ärmel über seine feuchten Augen. | |||
"Wir müssen Richeza finden, bevor sie die Wilden dort unten finden! Das ist mir jetzt - bei allem Respekt vor Eurer Verwandtschaft - ein dutzend Mal wichtiger, wie unsere entführte Grafentochter oder einen verschollenen Edelknaben mit seiner Mutter zu erretten. Schließlich hat Richeza alles für diese Personen riskiert." | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Simanca|Simanca]] | |||
Die letzten Tage waren weit anstrengender gewesen, als sich Zaida hatte ausmalen wollen. In den Geschichten wurde nie von eiskalten Zehen, klammer Kleidung oder dem Gefühl der Verzweiflung berichtet, die einen befallen wollte, wenn man scheinbar sinnlos im Nichts herumirrte, während die Hoffnung auf ein Lebenszeichen der gesuchten Menschen immer mehr zu schwinden schien. Aber dann wären die Geschichten wohl auch nur halb so spannend - und wer konnte sich solche Unbill schon vorstellen, wenn er in eine warme Decke gekuschelt neben dem wärmenden Herd einer Abenteuergeschichte lauschte? | |||
Sie riss sich aus den Gedanken los und sah auf das kleine Zeltlager – Dorf, wie Dom Moritatio es bezeichnete. Es war ein erster kleiner Lichtblick. Vielleicht war Domna Romina wirklich dort unten. Vielleicht … hoffentlich! Oder besser nicht, wenn sie Dom Moritatios Ausführungen über die Ferkinas bedachte. Fast wollte ihr der Mut wieder verzagen. Also rasch den Mund aufgemacht, bevor sie wieder in diesen grauen Trott verfiel, der sich ihrer die letzten Tage bemächtigte. | |||
„Aber Dom … das Dorf liegt so nahe unseres Weges, und Domna Richeza ist uns genau hier auf dem Berg verloren gegangen. Ich mag nicht glauben, dass sie im Nebel an uns vorbeigewandert ist. Und Ihr mögt Euch sicher nicht vorstellen, dass sie im Nebel abgestürzt sei." Sie nickte zu dem Dorf hin. „Ihr sagt selbst, dass sie mit … weiblichen Gefangenen nicht gut umspringen. Was, wenn die Wilden sie schon gefunden und gefangen genommen haben? Unser Weg hat uns hierhergeführt, durch Phexens Nebel, mag das nicht ein Fingerzeig gewesen sein? Vielleicht finden wir dort unten ja Domna Richeza ''und'' Domna Romina?" Hoffnungsvoll sah sie ihn unter den wirren Locken hervor an. „Können wir nicht wenigstens ein klein wenig näher an das Dorf heran? Vielleicht erkenne ich ja einen der Ferkinas oder irgendwelche Stammeszeichen oder so etwas, sodass ich sagen kann, ob das die sind, die Domna Romina entführt haben?" | |||
Sie griff nach Dom Gendahars Hand und sah auch ihn bittend an. „Das ist der erste Fingerzeig, den wir haben, wir können jetzt doch nicht einfach dran vorbeigehen?" | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer: Ancuiras|Ancuiras]] | |||
"Zaida hat recht", sagte Dom Gendahar nach einem langen Augenblick der Stille. "Es macht kaum Sinn, durch die Wildnis zu stapfen, in der vagen Hoffnung, Domna Richeza über den Weg zu laufen. Wenn sie nicht der feindlichen Natur dieser Berge zum Opfer gefallen ist, dann diesen Wilden da unten. Ich weiß gar nicht, was ich mir lieber wünschen soll. Eure düsteren Geschichten, Dom Moritatio, sind jedenfalls nicht hilfreich. Wir können nur zu den Zwölfen beten, dass sie noch wohlauf ist." Sein Blick wurde finster. "Das Gleiche gilt für Romina. Sie könnte auch dort unten sein. Ich sehe keinen anderen Weg, mehr über das Schicksal der beiden herauszufinden, als näher heranzuschleichen, sobald es dunkler geworden ist." | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Moritatio blickte Zaida und Gendahar skeptisch an und schaute dann noch einmal zu dem Ferkina-Lager knapp tausend Schritt unterhalb von ihnen am Hang des Djer Kalkarif herab. "Wenn sie uns entdecken, droht uns ein furchtbares Ende. Aber ich stimme Euch zu, daß Richeza und Eure Nichte dort gefangengehalten werden könnten. Oder wenn nicht sie, dann vielleicht zumindest das Knäblein, das wir suchen." Er strich sich grübelnd über seine hier in der Wildnis wild spriessenden Bartstoppeln am Kinn. "Andererseits widerstrebt es mir, nicht nach Richeza zu suchen, die uns bei ihrem Abstieg vielleicht einfach verfehlt hat und nun drunten an unserem Nachtlager in größter Sorge ist, da sie ja umgekehrt denken muss, uns sei etwas zugestoßen. Ich schlage deshalb folgendes vor: Ihr und Zaida klettert vorsichtig bis zu diesem Plateau dort unten. Das dürfte etwa eine halbe Meile von hier sein und es gibt viele Felsen, die Euch Deckung bieten können. Von dort aus, behaltet Ihr das Wildenlager im Auge. Ich steige nochmals auf der Rückseite des Berges herab, die wir heraufgekommen sind und suche nach Richeza. Ob mit ihr oder ohne sie - wir treffen uns dann vor Einbruch der Dunkelheit auf dem besagten Plateau. Um dorthin zu gelangen, muss ja glücklicherweise nicht mehr den ganzen Berg hinaufkraxeln. Phexseidank beginnt sich der Nebel auch langsam zu lichten. Die Gipfel dort hinten liegen bereits im strahlenden Praiosschein." | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer: Ancuiras|Ancuiras]] | |||
"Das ist Irrsinn", wandte der Thangolforster ein. "Wir sollten uns nicht nochmals trennen. Schlimm genug, dass Domna Richeza allein auf den Berg geklettert ist - wenn sie überhaupt so wiet gekommen ist." Unschlüssig starrte er zu dem Ferkinadorf hinab. Ob dort wirklich mehr über Richezas Schicksal zu erfahren war? Es konnte sein - aber genauso konnte diese Närrin aus Scheffelstein allein durch die Wildnis laufen, vom Nebel auf falsche Wege geführt. Vielleicht war sie tatsächlich auf dem Weg zu ihrem Nachtlager, in der Hoffnung ihre Gefährten wieder zu finden. Oder die Ferkinas hatten sie doch erwischt und waren gerade dabei... | |||
"Verdammt, dieses Weibsbild!" Er fuhr sich durch die Haare. "Nun gut, wir unternehmen gemeinsam einen letzten Versuch und laufen zum letzten Nachtlager zurück. Wenn sie dort nicht ist, dann werden die Wilden sie wohl haben, genau wie..." Er brachte den Satz nicht zuende, sondern sprang auf und zog dann Zaida wieder auf die Beine. "Los, wir haben keine Zeit zu verlieren." | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Moritatio mißbilligte wie dieser dahergelaufene Yaquirtaler von seiner schönen Base sprach. Er schalt sich selbst einen Narren, das er sich überhaupt Richezas Befehl gebeugt hatte und sie alleine von dannen hatte ziehen lassen, um in der Gesellschaft dieses von sich selbst eingenommenen Mannes und des stillen Waldwachter Kindes zurückzubleiben, die ihm beide im Grunde genommen vollkommen gleichgültig waren. Er musste endlich lernen, auf sein eigenes Herz, sein Bauchgefühl oder seinen Verstand zu hören und sich weniger um die Weisungen anderer Leute zu scheren. Immerhin war er ein erwachsener Mann und konnte nicht ewig der Befehlsempfänger seiner Mutter, des Militärs oder jeder anderen Autorität bleiben, die gerade seinen Weg kreuzte und glaubte ihn herumkommandieren zu können. <br> | |||
"Nein!" antwortete er deshalb auf Gendahars Entschluß. "Wir werden nicht genau denselben Weg, sondern eine etwas andere Route nach unten nehmen. Wenn wir Richeza nicht finden, so vielleicht doch zumindest eine Spur von ihr, was bei dem frischgefallenen Schnee durchaus möglich sein sollte. Wenn Praios' aber weiter so scheint, wird dieser schon bald wieder wegschmelzen und dann wird es ungleich schwieriger."<br> | |||
Er deutete auf einige grün-silberne Glitzerflächen weiter unten am Berg, auf der vom Ferkinalager abgewandten Seite. "Und dabei schlage ich vor, wir klettern ''daran'' vorbei. Wenn mich nicht alles täuscht, | |||
sind das kleine Gebirgsseen. Und da sie nicht zugefroren und zugeschneit sind, halte ich es durchaus für denkbar, daß dies die heißen Quellen sind, wie man sie in der Nachbarschaft von Vulkanen häufiger findet | |||
und nach denen Ihr mich gefragt habt, Dom Gendahar. Wie gesagt, ich erinnere mich dunkel aus meiner Kindheit, daß es solche am Djer Kalkarif gab und dort könnt Ihr dann - wenn Ihr weiterhin partout darauf | |||
besteht und nichts anderes dahintersteckt - kurz ein linderndes Bad nehmen, nach dem es Euch gelüstete." <br> | |||
Er achtete darauf. daß Zaida und Gendahar wieder den Sicherheitsabstand ihrer Seilschaft einhielten und begann dann mit dem Abstieg - geradewegs auf die glitzernden Seen zu. | |||
{{Chronik.Ereignis|Zurück=[[Chronik.Ereignis1033 Feldzug Raschtulswall 11|Teil 11]]|Chronik:Jahr=Chronik:1033|Ereignisname=Der Ferkina-Feldzug|Teil=Teil 12|Weiter=[[Chronik.Ereignis1033 Feldzug Raschtulswall 13|Teil 13]]}} | {{Chronik.Ereignis|Zurück=[[Chronik.Ereignis1033 Feldzug Raschtulswall 11|Teil 11]]|Chronik:Jahr=Chronik:1033|Ereignisname=Der Ferkina-Feldzug|Teil=Teil 12|Weiter=[[Chronik.Ereignis1033 Feldzug Raschtulswall 13|Teil 13]]}} | ||
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