Chronik.Ereignis1033 Feldzug Ferkinalager 12: Unterschied zwischen den Versionen
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Ehe Richeza sie zu fassen bekam, eilte die Ferkina den Weg hinauf, warf sich zu Boden und blickte selbst hinunter zu ihren Stammesgenossen. Kurz darauf kehrte sie zurück, angespannt fasste sie Domnatella Romina bei der Hand und zerrte sie wortlos zwischen die Felsen am Wegrand. Richeza folgte ihnen lautlos fluchend, und gemeinsam kletterten sie zwischen den Steinblöcken höher. Golshan zwängte sich in eine Spalte unter einem riesigen Felsklotz, die anderen beiden folgten ihr. Dicht an dicht lagen sie im Halbdunkel, nass, verschwitzt und zugleich frierend starrten sie hinaus in den Regen. | Ehe Richeza sie zu fassen bekam, eilte die Ferkina den Weg hinauf, warf sich zu Boden und blickte selbst hinunter zu ihren Stammesgenossen. Kurz darauf kehrte sie zurück, angespannt fasste sie Domnatella Romina bei der Hand und zerrte sie wortlos zwischen die Felsen am Wegrand. Richeza folgte ihnen lautlos fluchend, und gemeinsam kletterten sie zwischen den Steinblöcken höher. Golshan zwängte sich in eine Spalte unter einem riesigen Felsklotz, die anderen beiden folgten ihr. Dicht an dicht lagen sie im Halbdunkel, nass, verschwitzt und zugleich frierend starrten sie hinaus in den Regen. | ||
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Sie dachte an die Geschichte mit dem Säbel, dem Kindersäbel, an die ihre Tante sie erinnert hatte. Wie merkwürdig es war mit dem Gedächtnis: Erinnerungen ruhten verstaubt und vergessen wie Dinge in einer dunklen Kammer. Dann fiel ein plötzlicher Lichtstrahl hinein und erhellte einen lang verschwunden geglaubten Gegenstand, einen Gedanken, und man merkte, dass er nie fort gewesen war. | Sie dachte an die Geschichte mit dem Säbel, dem Kindersäbel, an die ihre Tante sie erinnert hatte. Wie merkwürdig es war mit dem Gedächtnis: Erinnerungen ruhten verstaubt und vergessen wie Dinge in einer dunklen Kammer. Dann fiel ein plötzlicher Lichtstrahl hinein und erhellte einen lang verschwunden geglaubten Gegenstand, einen Gedanken, und man merkte, dass er nie fort gewesen war. | ||
Richeza erinnerte sich, als kleines Kind auf dem [[Landedlengut Eslamsstolz|Gutshof]] ihres Vaters, der jetzt ihrer war, mit ihrer Puppe Nala gespielt zu haben. Es war Sommer gewesen, Praios. Ihr Tsatag vielleicht? Die Sonne hatte die Blätter der Linde im Hof in zartem Grün gefärbt, und am Himmel war keine Wolke gewesen, als plötzlich ein langer Schatten auf Richeza gefallen war. Eine Frau hatte vor ihr gestanden, groß wie ein Oger – so war es Richeza damals vorgekommen –, gerüstet wie die Kaiserlichen auf [[Hesindian von Kornhammer-Scheffelstein|Großvaters]] [[Burg Scheffelstein|Burg]] und laut wie die trunkenen Söldner, die Richeza einmal bei [[Tolaks Turm]] gesehen hatte. ''Puppen sind nichts für Mädchen'', hatte die Frau verächtlich gesagt und Richeza so rasch am Arm hochgezogen, dass Nala in den Staub gefallen war. ''Hier, ich hab' dir 'was Besseres mitgebracht.'' Sie hatte Richeza einen Säbel in die Hand gedrückt und breit gegrinst. ''Lass dir von deinem Vater zeigen, wie man ihn hält. Wenn ich wiederkomme, dann kämpfen wir ein bisschen, und dann mache ich eine richtige Kriegerin aus dir.'' Sie hatte Richeza zugezwinkert, ihr mit quaderschweren Stahlfingern die Schulter zerquetscht, sich auf das drachengroße Ross geschwungen, | Richeza erinnerte sich, als kleines Kind auf dem [[Landedlengut Eslamsstolz|Gutshof]] ihres Vaters, der jetzt ihrer war, mit ihrer Puppe Nala gespielt zu haben. Es war Sommer gewesen, Praios. Ihr Tsatag vielleicht? Die Sonne hatte die Blätter der Linde im Hof in zartem Grün gefärbt, und am Himmel war keine Wolke gewesen, als plötzlich ein langer Schatten auf Richeza gefallen war. Eine Frau hatte vor ihr gestanden, groß wie ein Oger – so war es Richeza damals vorgekommen –, gerüstet wie die Kaiserlichen auf [[Hesindian von Kornhammer-Scheffelstein|Großvaters]] [[Burg Scheffelstein|Burg]] und laut wie die trunkenen Söldner, die Richeza einmal bei [[Tolaks Turm]] gesehen hatte. ''Puppen sind nichts für Mädchen'', hatte die Frau verächtlich gesagt und Richeza so rasch am Arm hochgezogen, dass Nala in den Staub gefallen war. ''Hier, ich hab' dir 'was Besseres mitgebracht.'' Sie hatte Richeza einen Säbel in die Hand gedrückt und breit gegrinst. ''Lass dir von deinem Vater zeigen, wie man ihn hält. Wenn ich wiederkomme, dann kämpfen wir ein bisschen, und dann mache ich eine richtige Kriegerin aus dir.'' Sie hatte Richeza zugezwinkert, ihr mit quaderschweren Stahlfingern die Schulter zerquetscht, sich auf das drachengroße Ross geschwungen, das der Stallknecht bereit hielt und war davon galoppiert, dass die Hühner am Tor gackernd und kreischend auf die Dächer geflohen waren und sich den halben Tag nicht wieder hatten einfangen lassen. | ||
Richeza hatte damals nicht einmal gewusst, dass die Frau ihre Tante war. Aber sie hatte eine solche Angst vor ihr gehabt, dass sie drei Nächte lang kaum geschlafen hatte. ''Dann kämpfen wir ein bisschen'', hatte die Frau gesagt – und das hatte Richeza nicht aus dem Kopf gehen wollen. Bald, hatte sie gedacht, würde die Frau wiederkommen und sie mit ihrer Stachelkugel erschlagen. Sie hatte nicht einmal mehr gewagt, mit Nala zu spielen, vor lauter Angst, die Frau könne sie dabei erwischen. Nala hatte fortan in einer Kiste unter dem Bett schlafen müssen, wo Richeza ihr heimlich verschwörerische Worte zugeflüstert hatte, und war erst wieder ins Bett geholt worden, als Richeza | Richeza hatte damals nicht einmal gewusst, dass die Frau ihre Tante war. Aber sie hatte eine solche Angst vor ihr gehabt, dass sie drei Nächte lang kaum geschlafen hatte. ''Dann kämpfen wir ein bisschen'', hatte die Frau gesagt – und das hatte Richeza nicht aus dem Kopf gehen wollen. Bald, hatte sie gedacht, würde die Frau wiederkommen und sie mit ihrer Stachelkugel erschlagen. Sie hatte nicht einmal mehr gewagt, mit Nala zu spielen, vor lauter Angst, die Frau könne sie dabei erwischen. Nala hatte fortan in einer Kiste unter dem Bett schlafen müssen, wo Richeza ihr heimlich verschwörerische Worte zugeflüstert hatte, und war erst wieder ins Bett geholt worden, als Richeza Wochen später erkrankte und sich allein im Bett noch mehr fürchtete als vor der Frau. | ||
Nach drei sorgenreichen Nächten hatte Richeza endlich gewusst, wie sie verhindern konnte, dass die Frau eine richtige Kriegerin aus ihr machte. Früh morgens, als alle noch schliefen, war sie auf den Hof geschlichen und hatte den Säbel auf den Brunnenrand gelegt. Dann hatte sie Nala unter dem Nachthemd hervorgeholt, unter dem sie die Puppe versteckt hatte, und dem Säbel den Rücken zugekehrt. Während sie Nala versichert hatte, dass sie nun beide keine Angst mehr haben müssten, hatte Nala dem Säbel heimlich einen Schubs gegeben. Als Richeza sich bald darauf umgedreht hatte, war der Säbel verschwunden gewesen. ''Nala, wo ist der Säbel?'', hatte sie die Puppe gefragt. ''Komisch, gerade war er noch da'', hatte Nala geantwortet. ''Er ist verschwunden'', hatten sie festgestellt und ein bisschen gesucht. Auf dem Brunnen war er nicht gewesen, neben dem Brunnen nicht, unter der Linde nicht, und schließlich hatte Nala gefragt, ob sie den Säbel überhaupt mit nach draußen genommen hatten. ''Vielleicht nicht'', hatte Richeza geantwortet, aber natürlich war er auch nicht im Haus, und als die Frau wiedergekommen war, hatte Richeza fast schon geglaubt, nicht zu wissen, wo der Säbel war, schließlich hatte sie überall nach ihm gesucht und ihn nicht gefunden, Nala war ihre Zeugin. | Nach drei sorgenreichen Nächten hatte Richeza endlich gewusst, wie sie verhindern konnte, dass die Frau eine richtige Kriegerin aus ihr machte. Früh morgens, als alle noch schliefen, war sie auf den Hof geschlichen und hatte den Säbel auf den Brunnenrand gelegt. Dann hatte sie Nala unter dem Nachthemd hervorgeholt, unter dem sie die Puppe versteckt hatte, und dem Säbel den Rücken zugekehrt. Während sie Nala versichert hatte, dass sie nun beide keine Angst mehr haben müssten, hatte Nala dem Säbel heimlich einen Schubs gegeben. Als Richeza sich bald darauf umgedreht hatte, war der Säbel verschwunden gewesen. ''Nala, wo ist der Säbel?'', hatte sie die Puppe gefragt. ''Komisch, gerade war er noch da'', hatte Nala geantwortet. ''Er ist verschwunden'', hatten sie festgestellt und ein bisschen gesucht. Auf dem Brunnen war er nicht gewesen, neben dem Brunnen nicht, unter der Linde nicht, und schließlich hatte Nala gefragt, ob sie den Säbel überhaupt mit nach draußen genommen hatten. ''Vielleicht nicht'', hatte Richeza geantwortet, aber natürlich war er auch nicht im Haus, und als die Frau wiedergekommen war, hatte Richeza fast schon geglaubt, nicht zu wissen, wo der Säbel war, schließlich hatte sie überall nach ihm gesucht und ihn nicht gefunden, Nala war ihre Zeugin. | ||
Richeza warf einen Blick über die Schulter auf ihre Tante, die mit finsterem Gesicht und um das Falcata geballter Faust hinter ihr herging. Fast hätte Richeza heute über den Vorfall lachen mögen, wenn da nicht die andere Geschichte mit dem anderen Säbel gewesen wäre. Und jetzt war ihre Tante wild entschlossen, die Ferkina zu töten. Was, wenn die Comtessa Praiodor gleich hinterher warf, aus Rache, weil sie sich mit der Ferkina doch so gut verstand? Und was war das wohl für eine Höhle, von der ihre Tante gesprochen hatte? Moritatio hatte nichts von einer Höhle geschrieben. Oder doch? Wusste ihre Tante die Worte ihres Sohnes besser zu deuten? Und jetzt erst wurde Richeza bewusst, was sie noch gesagt hatte: Sie würde auf den Gipfel steigen, um das Feuer zu entzünden. Richezas Weg hinauf war umsonst gewesen. | Richeza warf einen Blick über die Schulter auf ihre Tante, die mit finsterem Gesicht und um das Falcata geballter Faust hinter ihr herging. Fast hätte Richeza heute über den Vorfall lachen mögen, wenn da nicht die andere Geschichte mit dem anderen Säbel gewesen wäre. Und jetzt war ihre Tante wild entschlossen, die Ferkina zu töten. Was, wenn die Comtessa Praiodor gleich hinterher warf, aus Rache, weil sie sich mit der Ferkina doch so gut verstand? Und was war das wohl für eine Höhle, von der ihre Tante gesprochen hatte? Moritatio hatte nichts von einer Höhle geschrieben. Oder doch? Wusste ihre Tante die Worte ihres Sohnes besser zu deuten? Und jetzt erst wurde Richeza bewusst, was sie noch gesagt hatte: Sie würde auf den Gipfel steigen, um das Feuer zu entzünden. Richezas Weg hinauf war umsonst gewesen. Bald würde ihre Tante sie mit einer wütenden Comtessa allein in einer Höhle hier irgendwo in den Bergen zurücklassen, wo Richeza, waffenlos und am Ende ihrer Kräfte, kaum in der Lage wäre, sich der Grafentochter zu erwehren, falls die auf dumme Gedanken käme, sicher aber den Ferkinas nichts entgegenzusetzen hatte, wenn diese sie fänden. Und sie würden sie finden. Was, wenn die Comtessa wirklich allein in die Berge floh, gefangen genommen wurde und aus Zorn auch Richezas und Praiodors Aufenthaltsort verriete? | ||
Götter, das alles drohte in einer Katastrophe zu enden! Schon verengte sich der Weg, rechts von ihnen ragten die Felsen höher auf und links begann der Hang immer steiler abzufallen. Das Herz stockte Richeza, als die Comtessa stolperte und zu stürzen drohte, weil sie keine Hände frei hatte, sich zu fangen, doch die Ferkina, die dicht hinter der Grafentochter ging, griff sie am Arm, und kurz darauf gingen die beiden weiter, als sei nichts geschehen. Für | Götter, das alles drohte in einer Katastrophe zu enden! Schon verengte sich der Weg, rechts von ihnen ragten die Felsen höher auf und links begann der Hang immer steiler abzufallen. Das Herz stockte Richeza, als die Comtessa stolperte und zu stürzen drohte, weil sie keine Hände frei hatte, sich zu fangen, doch die Ferkina, die dicht hinter der Grafentochter ging, griff sie am Arm, und kurz darauf gingen die beiden weiter, als sei nichts geschehen. Für einige Zeit wurde der Weg ebener, und als die Ferkina kurz innehielt, um das Band festzuziehen, mit dem sie die Felle um ihre Stiefel gebunden hatte, spürte Richeza die Hand ihrer Tante auf ihrer Schulter, als die sich an ihr vorbeizudrängen versuchte. | ||
Richeza zögerte keinen Moment, sondern spannte die Schultern und drehte sich so, dass Rifada da Vanya sie nicht einfach beiseite schieben konnte. Sie spürte die Wut ihrer Tante in deren eisernem Griff. Sie wusste, dass sie der Kraft dieser Frau nichts entgegenzusetzen hatte. Verzweifelt streckte sie die Arme aus, versperrte Rifada da Vanya den Weg, doch die zog sie an der Schulter zurück, als sei sie noch immer nichts weiter als ein fünfjähriges Kind und keine erwachsene Frau. | Richeza zögerte keinen Moment, sondern spannte die Schultern und drehte sich so, dass Rifada da Vanya sie nicht einfach beiseite schieben konnte. Sie spürte die Wut ihrer Tante in deren eisernem Griff. Sie wusste, dass sie der Kraft dieser Frau nichts entgegenzusetzen hatte. Verzweifelt streckte sie die Arme aus, versperrte Rifada da Vanya den Weg, doch die zog sie an der Schulter zurück, als sei sie noch immer nichts weiter als ein fünfjähriges Kind und keine erwachsene Frau. | ||
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"Es tut mir leid, Tante", flüsterte sie. "Bitte nicht! Sie hat mir das Leben gerettet oder zumindest ... Sie ... sie hat mich ... befreit. Die Ferkinas ... sie hatten ... mich ... und ... ich ... Es tut mir leid!" Sie schämte sich der Tränen, die ihr in die Augen traten, hilflos ihre Wangen hinabrollten, all den Schmerz, die Angst, die Wut und Verzweiflung der letzten Tage hervorbrechen ließen, die sie bislang so erfolgreich zurückgedrängt hatte. "Es tut mir leid!", stieß sie mit erstickter Stimme hervor, während die Ferkina, ohne sich umzudrehen, um die Wegbiegung verschwand. "Es tut mir leid. Es ...ist ... meine Schuld. Ich hätte nicht ... ich ... ich weiß, es war eine dumme Idee ... alleine bei Nacht ... auf den Berg ... ich wusste nicht ... es ist meine Schuld. Wenn ich nicht ... dann wäre das alles nicht passiert. Mit Moritatio. Und dem ... dem ..." Sie wagte nicht, das Wort auszusprechen, den Verlust des Erbstücks zuzugeben. "Ich ... und ... Ich weiß, es war dumm. Ich hätte warten sollen, aber die anderen waren so schwach. Ich wollte keinen Tag verlieren. Wegen Praiodor. Aber Moritatio hat gesagt, es wäre wichtig ... mit dem Feuer. Es tut mir so leid." | "Es tut mir leid, Tante", flüsterte sie. "Bitte nicht! Sie hat mir das Leben gerettet oder zumindest ... Sie ... sie hat mich ... befreit. Die Ferkinas ... sie hatten ... mich ... und ... ich ... Es tut mir leid!" Sie schämte sich der Tränen, die ihr in die Augen traten, hilflos ihre Wangen hinabrollten, all den Schmerz, die Angst, die Wut und Verzweiflung der letzten Tage hervorbrechen ließen, die sie bislang so erfolgreich zurückgedrängt hatte. "Es tut mir leid!", stieß sie mit erstickter Stimme hervor, während die Ferkina, ohne sich umzudrehen, um die Wegbiegung verschwand. "Es tut mir leid. Es ...ist ... meine Schuld. Ich hätte nicht ... ich ... ich weiß, es war eine dumme Idee ... alleine bei Nacht ... auf den Berg ... ich wusste nicht ... es ist meine Schuld. Wenn ich nicht ... dann wäre das alles nicht passiert. Mit Moritatio. Und dem ... dem ..." Sie wagte nicht, das Wort auszusprechen, den Verlust des Erbstücks zuzugeben. "Ich ... und ... Ich weiß, es war dumm. Ich hätte warten sollen, aber die anderen waren so schwach. Ich wollte keinen Tag verlieren. Wegen Praiodor. Aber Moritatio hat gesagt, es wäre wichtig ... mit dem Feuer. Es tut mir so leid." | ||
Richeza wagte nicht, ihre Tante anzusehen. Ihre Finger, die sich noch immer in die Verschlüsse der Lederrüstung krallten, zitterten. Aus irgendeinem Grund hatte sie das Gefühl, ihre Tante zu verraten, die einen solchen Hass verspürte auf die Ferkina, ja, selbst auf die Comtessa. Und doch konnte Richeza diese Tat nicht zulassen. Um Praiodors Willen. Ja, selbst um ihres eigenen Gewissens Willen, wie sie zugeben musste. Sie verspürte keinen Hass. Nur Angst und Trauer. Doch diesmal war es nicht ihre Tante selbst, die sie fürchtete. Vielmehr deren Zorn und ... Enttäuschung? | Richeza wagte nicht, ihre Tante anzusehen. Ihre Finger, die sich noch immer in die Verschlüsse der Lederrüstung krallten, zitterten. Aus irgendeinem Grund hatte sie das Gefühl, ihre Tante zu verraten, die einen solchen Hass verspürte auf die Ferkina, ja, selbst auf die Comtessa. Und doch konnte Richeza diese Tat nicht zulassen. Um Praiodors Willen. Ja, selbst um ihres eigenen Gewissens Willen, wie sie zugeben musste. Sie verspürte keinen Hass. Nur Angst und Trauer. Doch diesmal war es nicht ihre Tante selbst, die sie fürchtete. Vielmehr deren Zorn und deren ... Enttäuschung? | ||
"Es tut mir so leid", flüsterte sie erstickt. "Ich ... habe es für Euch getan. Ich dachte ... Ihr wärt tot." | "Es tut mir so leid", flüsterte sie erstickt. "Ich ... habe es für Euch getan. Ich dachte ... Ihr wärt tot." | ||
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'''Autor''': [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Rifadas schon vorher finstere Miene wirkte durch ihre schmal aufeinander gepressten Lippen und ihre kritisch hochgezogenen Augenbrauen nun noch düsterer. Unwirsch wand sie sich aus Richezas Umklammerung und zog diese grob halb am Brusttuch ihrer barbarischen Ferkina-Gewandung, halb an ihrem bebenden Kinn wieder auf die Füße hoch. "Hör auf der Stelle mit diesem unweibischen Gewinsel auf! Du hast scheinbar vergessen, von wessen Blut du bist! Und außerdem versteht man kein Wort, wenn du hier vor Fremden herumgreinst wie ein furchtsames Zicklein! Was hast du da gerade gejammert? Du warst schon auf dem Berg? Hast du oben auf dem höchsten Gipfel zur Rondrasstunde ein Feuer gemacht, sodass ich am Ende gar nicht mehr hinaufsteigen muss?" | |||
Sie betrachtete ihre zitternde Nichte zweifelnd - jetzt sah sie wirklich haargenau wie Madalena aus, die sich als Kind vor jedem Blitz und Donnergrollen gefürchtet hatte, obwohl diese in ihrer bosquirischen Heimat beinahe zum alltäglichen Leben dazugehörten. | |||
"Ich kann es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen ... aber warst du oben und - wenn ja - war das Feuer gut zu sehen? Das Schicksal unseres Stammsitzes hängt davon ab!" | |||
Sie kratzte sich nachdenklich den Haarschopf. "Wenn du der Tobrierin nicht den Jungen gegeben hättest, würde ich die zwei einfach weitermarschieren lassen und wir beide kehren hier um - zurück nach Selaque! Ich muss mir Einlass auf Burg Albacim verschaffen und unsere Kleinodien dort herausholen ... ich habe es mit eigenen Augen gesehen - die Hexe Praiosmin hat uns alles gestohlen! Alles!" | |||
Sie rammte das Falcata in die Erde und riss einen kleinen Stofffetzen von ihrem Untergewand ab, das durch ihre Kerkerhaft ohnehin längst alles andere als gut aussah. Sie schrubberte damit Richeza wenig feinfühlig über das Gesicht. | |||
"Hier! Wisch dir damit gefälligst die Tränen weg - das Blondchen braucht eine da Vanya so nicht zu sehen! Und was die Wilde betrifft - du bist naiv, wenn du glaubst, dass diese Kreaturen zu Freundschaft fähig sind. Wenn ich sie nicht wegmachen soll, dann müssen wir sie fesseln und irgendwo zurücklassen, damit sie uns nicht verraten kann, bis wir über alle Berge sind. Die Bastarde ihres Stammes finden sie dann schon - die treiben sich in dieser Gegend ja zahlreicher wie die Karnickel herum!" | |||
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'''Autor''': [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Richeza schluckte, ließ sich die grobe Behandlung durch ihre Tante jedoch gefallen, ohne zu zucken. Sie lehnte den Kopf an die hinter ihr aufragende Felswand, während Rifada da Vanya ihr mit dem schmutzigen Tuch durch das Gesicht fuhr, und schloss die Augen. Als diese ihr den Stoff in die Hand drückte, öffnete sie die Augen wieder und atmete zitternd aus. Sie sah ihre Tante nicht an, sondern schräg an dieser vorbei in den Abgrund. Der Wind zerrte an ihrem Haar und trocknete Tränen und Schweiß auf ihrem bleichen Gesicht. Es dauerte eine Weile, bis Richeza ihre Sprache wiederfand. | |||
"Ja", sagte sie leise, "ich bin auf den Berg gestiegen. Vor ein paar Tagen." Sie schluckte erneut, folgte mit den Augen einem Raubvogel, der irgendwo unter ihnen seine Kreise zog. "Wir hatten den Berg gerade erreicht, von Grezzano aus. Es war später Abend, wir waren alle erschöpft. Moritatio meinte, wir müssten zur Rondrastunde ein Feuer auf dem Berg errichten, damit die Amazonen Euch zur Hilfe eilen können. Sie wollten bis zum Morgen warten, um dann auf den Djer Kalkarif zu steigen. Aber dann hätten wir einen ganzen Tag verloren auf der Suche nach Praiodor. Das ... wollte ich nicht. Aber wie hätte ich andererseits nicht auf den Berg steigen können? Nach allem, was Ihr für uns – für mich – getan hattet. Selbst, wenn nur die leiseste Hoffnung bestand, dass die Elenterin Euch nicht umgebracht hatte?" | |||
Richeza warf der Junkerin nur einen kurzen Blick zu, senkte die Augen dann auf den Weg. "Also bin ich allein rauf. Es wurde bald dunkel, und es war eine verdammt kalte Nacht. Ich dachte, ich schaff' das schon, aber ... Ich habe mich wohl überschätzt." Sie schluckte erneut, betrachtete die Finger an ihrer rechten Hand, an denen die Schnalle der Lederrüstung blutige Kratzer hinterlassen hatten, als Rifada da Vanya sich so grob von ihr befreit hatte. "Ich weiß nicht, wo ich das Feuer entzündet habe. Ob es der höchste Gipfel war. Ich glaube nicht. Es war auf einem Gletscherfeld, ich hoffe irgendwo im Südwesten. Ich hatte nur soviel Holz für das Feuer, wie ich tragen konnte. Es war nicht viel. Ich weiß nicht, ob es umsonst war." | |||
Sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die ihr ins Auge wehte und verschränkte die Arme vor der Brust gegen die Kälte. "Jedenfalls habe ich es nicht mehr vom Berg runter geschafft. Ich hatte kein Licht mehr und musste dort irgendwo übernachten, im Schnee." Richeza presste die Lippen aufeinander, zum ersten Mal klang sie fast trotzig, als sie fortfuhr. "Ich wäre fast erfroren in der Nacht. Auf dem Rückweg bin ich ... ich muss gestürzt sein." Sie zuckte mit den Schultern, als müsse sie sich dafür rechtfertigen. "Als ich aufwachte, war da dieser Junge. Praiosmins Bastard. Er ..." Sie schürzte die Lippen. "Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat, aber ... Er hat mich irgendwohin gebracht und gefesselt. Er wollte mich den Ferkinas übergeben." Wütend biss sie sich auf die Unterlippe. "Ich konnte mich noch mal befreien, aber ich hatte alles verloren: Harnisch ... Waffe, meine Ausrüstung. Ich versuchte, zu den anderen zurückzukehren, aber ich wusste nicht, wo sie waren. Und dann ..." | |||
Richeza holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. Ihr Magen knurrte. Eine Gänsehaut bedeckte ihre Arme. Von den anderen Frauen war nichts mehr zu sehen oder zu hören. Richeza sah ihre Tante an. "Es muss der Schamane gewesen sein. Ein Ferkina-Zauberer." Ihre Stimme stockte. "Er ... hat mich wieder eingefangen. Sie ... haben mich in ein Zelt gebracht ..." Sie wurde immer leiser. "Dort haben sie mir alles ... weggenommen, mich ..." Sie schluckte und verstummte. Ihr Blick glitt ins Leere, durch ihre Tante hindurch. "Sie haben mir diese Sachen angezogen", flüsterte sie, kaum hörbar gegen den Wind. "Dort war auch das Mädchen. Die Comtessa. Gefesselt. Sie sagte ... ich ... sei für den ... Shâr bestimmt. Ich ... wollte nur noch sterben." Richeza senkte den Kopf und schwieg einige Herzschläge lang. Als sie wieder aufsah, wirkte ihr Gesicht verschlossen und hart. | |||
"In der Nacht wachte ich auf. Es war diese Ferkina. Sie schnitt mich los. Sie führte mich und das Mädchen aus dem Lager, irgendwo in eine Höhle. Ich wusste nicht, was sie wollte. Ich traute ihr ebenso wenig, wie Ihr. Am nächsten Tag machte ich mich auf die Suche nach Moritatio und dem Streitzig. Ich nahm die Comtessa mit. Sollte ich sie hier etwa sterben lassen?" | |||
Richeza kniff die Augen zusammen. "Nein", sagte sie. "Egal, was Ihr denkt: So bin ich nicht. Es ist mir egal, ob sie sich im Reitstall den Hals bricht. Aber wenn ich sie hier zurückgelassen hätte, hätte ich sie gleich mit eigenen Händen töten können. Ich bin keine Mörderin." Finster blickte sie Rifada da Vanya an. "Die Ferkina folgte uns. Scheint einen Narren an dem Mädchen gefressen zu haben. Warum auch immer. Sie hat uns nichts Böses getan. Ich werde nicht zulassen, dass Ihr sie tötet. Ohne sie ..." | |||
Sie brach ab, blickte wieder zu Boden. Als sie Rifada ansah, wirkte sie müde, ihre Stimme aber war fest und ruhig. "Es tut mir leid, dass ich Euch enttäuscht habe. Ich bin nun einmal nicht wie Ihr: Stark und unbesiegbar. Ihr hättet gewusst, wo man das Feuer entzünden muss. Ihr hättet Euch nicht von dem Bastard oder den Ferkinas gefangen nehmen lassen. Wahrscheinlich hättet Ihr sie alle getötet. Ihr scheint nie zu zweifeln. Ich kann das nicht. Es tut mir leid, wenn ich versagt habe. Aber ... ich bin nicht herzlos. Und das – tut mir nicht leid!" | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Romina Alba|Romina Alba]] | |||
Rominas Herz schlug wild, ihr saß noch der Schreck in den Gliedern. Beinah wäre sie gefallen und vielleicht abgestürzt, der Junge auf ihrem Rücken wog immer schwerer und sie zögerte zu lange, ließ ihn nicht los. Sie sah sich schon samt Kind fallen, als Golshan zupackte und ihr wieder zum Gleichgewicht verhalf. Kurz drehte sie halb den Kopf und schenkte der Ferkina ein müdes Lächeln. | |||
Aus dem Augenwinkel sah sie das Mannweib und wieder schauderte es sie. Dieses scheinbar nicht mehr allzu menschliche Wesen schien ihr fast so feindselig wie die Ferkinas. Wäre Richeza nicht deren Nichte, hätte sie sich dieser Frau nie angeschlossen. Dagegen war jede, selbst die mürrischste der Amazonen, die sie in ihrer Knappschaft gesehen hatte, freundlich und hilfsbereit gewesen. | |||
Sie zwang sich, wieder ganz auf den Weg und jeden Schritt zu achten und ging weiter. Nur nicht stehenbleiben. Sie umrundete einen Felsvorsprung, der Weg wurde etwas breiter und bildete eine Ausbuchtung, von der aus man weit über das Tal sehen konnte. Kurz überlegte sie, selbst einen Blick zu riskieren, doch sie war sich nicht sicher, ob sie weiterkonnte, wenn sie jetzt stehenbleiben würde. Daher ging sie in dem langsamen Trott, den sie sich angewöhnt hatte, einfach weiter. | |||
Sie hörte wie Golshan hinter ihr kurz stehenblieb, wohl um das Tal mit Blicken abzusuchen. Romina verkürzte ihre Schrittlänge, um nicht zu weit von der neuen Freundin wegzugeraten. Die Ferkina grunzte kurz zufrieden, als Zeichen für Romina, dass alles in Ordnung war und holte die Comtessa schnell ein. | |||
So ging es weiter um den nächsten Felsvorsprung, die letzten Ferkinas, die sie gesichtet hatten, waren irgendwo weit hinter ihnen. Romina betet inbrünstig dafür, dass es so bliebe. Lange würde sie das Kind nicht mehr tragen können. Wo blieben nur die da Vanyas? Sie horchte nach hinten und hörte nur Golshan, die direkt hinter ihr ging. Sie seufzte und hielt Ausschau nach einer Möglichkeit anzuhalten und ein wenig zu rasten. Hoffentlich hatten die zwei Frauen sich nicht abgesetzt. Obwohl ... sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie auf die Alte gut verzichten konnte. Und wieder rieselte ihr ein Schaudern über den Rücken. | |||
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'''Autor''': [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Der Weg vor Romina und Golshan wurde noch etwas breiter. Nach links fiel er noch immer recht steil ab, rechts aber zog sich ein weites Geröllfeld den Berg hinauf. Von den beiden anderen Frauen war noch immer nichts zu sehen. Golshans Augen wanderten über das Tal, dann griff sie nach Rominas Arm. Die Berührung war rau, fast fordernd. Als Romina die Ferkina anblickte, sagte diese etwas, das die Comtessa nicht verstand. Golshan umschloss das Bein des schlafenden Jungen und klopfte gegen Rominas Arm. Dann pochte sie gegen ihre eigene Brust, wies den Weg weiter bergauf und zeigte auf den Jungen. | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Romina Alba|Romina Alba]] | |||
Romina dachte kurz nach. Scheinbar wollte ihre neue Freundin sie beim Tragen des Jungen ablösen. So wie sich ihre Knie anfühlten, war das auch dringend notwendig. Kurz warf sie einen Blick nach hinten und rümpfte die Nase. Was scherte es sie, was die beiden Weibsstücke dachten? Sie traute Golshan. Sie sah die Ferkina an und nickte mit einem müden Lächeln. Dann wechselte der schlafende Junge ohne aufzuwachen auf den Rücken der Wilden, die Comtessa nahm das Schwert wieder zur Hand und folgte Golshan weiter den Berg hinauf. | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer: SteveT|SteveT]], [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Rifada da Vanyas Gesicht hatte sich während des Berichts ihrer Nichte noch weiter verdüstert. "Darüber reden wir noch! Praiosmins Bastard, sagst du? Gerade habe ich noch gedacht, dass mein Zorn auf die vermaledeite Dämonenbuhle nicht mehr größer werden kann - aber er kann ... er kann!" | |||
Sie zog das Falcata aus der Erde und hob lauschend den Kopf. Jetzt hörte Richeza es auch: Leise Schreie! Sie kamen von vorne, dort, wo die anderen beiden Frauen um die Wegbiegung verschwunden waren. Richeza zögerte keinen Augenblick, ließ ihre Tante einfach stehen und hastete den Pfad weiter bergan. Die Felswand zu ihrer Rechten trat zurück, der Weg beschrieb einen weiten Bogen nach links. Die anderen beiden Frauen waren bereits ein ganzes Stück voraus und passierten soeben einen Geröllhang. Zu ihrem Entsetzen bemerkte Richeza, dass es die Wilde war, die nun den Jungen auf ihrem Rücken trug. | |||
Ihr Schrecken wurde noch größer, als sie eine Bewegung hoch oben über dem Geröllfeld wahrnahm. Sie hielt kurz inne und beschattete die Augen mit der Hand, um besser sehen zu können, aber es bestand kein Zweifel: Ferkinas! Fünf, sechs, sieben, mindestens ein Dutzend, wenn nicht mehr! Sie waren noch sehr weit oben, aber sie hatten die Comtessa und die Wilde bereits entdeckt. Diese hatten die Ferkinas ihrerseits bemerkt und begannen zu rennen. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis die Wilden herab waren. | |||
Praiodor! Richeza stolperte vorwärts. Der kaputte Stiefel behinderte sie, aber die Erschöpfung war vergessen. Sie musste den Jungen in Sicherheit bringen! Wie hatte sie ihn nur je aus den Händen geben können? | |||
Schreie von Vorne: Etwas hatte die Comtessa am rechten Arm getroffen. Ein Stein? Nein: Ein Pfeil! Ein zweiter Pfeil traf die junge Frau in die Hüfte. Sie taumelte, wurde langsamer. Die Ferkina rannte mit dem Jungen einfach weiter. Richeza rannte auch. Die Ferkinas begannen, den Hang hinabzuklettern. Auf dem Geröll kamen sie nicht schnell voran, aber immerhin ging es für sie bergab, während die Frauen aufwärts liefen. | |||
Nun hatte der Schütze Richeza entdeckt. Ein Pfeil flog dicht über ihren Kopf hinweg, ein zweiter prallte von einem Stein ab. Es gab nichts, was Richeza tun konnte. Würde sie umkehren oder Deckung suchen, wäre Praiodor verloren, während sie selbst sich bald im Zelt der Ferkinas wiederfände. Sie konnte nicht einmal Haken schlagen, der Weg war nicht breit genug, und es kostete nur Kraft und Zeit. Also rannte Richeza einfach weiter, ungeachtet der Pfeile, die sie nur knapp verfehlten. | |||
Die Wilde – Golshan – war nicht mehr zu sehen, die Comtessa schleppte sich soeben um die nächste Biegung. Richeza hetzte weiter. Lange würde sie das Tempo nicht durchhalten. Ihr schien, als könne sie gar nicht schnell genug atmen, um Luft zu bekommen; ihre Lunge brannte wie Feuer. Noch zwanzig Schritt, dann hätte sie das Ende des Geröllfeldes erreicht. Achtzehn noch, dann wäre sie in Deckung. | |||
Sie wagte einen Blick nach oben: Die meisten Ferkinas hatten die Hälfte des Hanges hinter sich gebracht. – Gebell! Irgendwo hinter der nächsten Wegbiegung bellte ein Hund. Wahrscheinlich waren da noch mehr Barbaren. Wahrscheinlich hatten sie Golshan und die Comtessa bereits überwältigt. Sie rannte ihnen geradewegs in die Arme! – Und? Was sollte sie sonst tun? Dann würde sie eben sterben bei dem Versuch, Praiodor zu verteidigen. Richeza verspürte keine Angst, nur eine tiefe, alles betäubende Traurigkeit. So also. Nach allem. | |||
Der Schlag in ihren Rücken war so hart, dass Richeza zu Boden stürzte und mit der Stirn aufschlug. Die Knie des Ferkinas bohrten sich in ihre Wirbelsäule. Er rief etwas und erhielt von weiter oben eine unverständliche Antwort. Richeza versuchte, den Angreifer abzuschütteln, aber er war zu schwer. Sie kam nicht einmal an den Dolch in ihrem Stiefel. | |||
"Zurück!", brüllte er in der Sprache der Barbaren, soviel verstand sie. Sie drehte den Kopf zur Seite. Aus den Augenwinkeln sah sie ihre Tante. Mit erhobenem Falcata stand sie mitten auf dem Weg, nur drei Schritt entfernt. Ein abgebrochener Pfeil steckte in ihrer Lederrüstung. Die Ferkinas auf dem Hang kamen immer näher. | |||
"Zurück!", brüllte der Wilde erneut in Richtung der Junkerin und fuchtelte mit einem schartigen Wurfmesser. Richeza spannte die Muskeln. Wut ergriff sie. Der Ferkina fasste grob in ihr Haar und drückte ihr die rostige Klinge an die Kehle, schrie ihrer Tante unverständliche Worte entgegen. Das Messer unter ihrem Kinn erinnerte Richeza schmerzlich daran, diese Situation nicht zum ersten Mal zu durchleben. Damals war ihr gleichgültig gewesen, ob sie starb oder nicht. Diesmal war es das nicht: Tief in ihrem Innern wollte sie leben. Aber nie war eine Situation so aussichtslos erschienen. | |||
"Yil'Hayatim", hörte sie den Mann auf ihrem Rücken sagen. Das Gesicht ihrer Tante war ein Bild namenlosen Hasses. Und doch schlug sie nicht zu. Ihretwegen ... | |||
Richeza nutzte die Abgelenktheit des Mannes und bog ihren Kopf von der Klinge zurück. Als der Wilde sie ansah, um das Messer nachzuziehen, schlug sie ihre Zähne in seinen Daumen. Sie biss zu, so fest sie konnte. Ihre Zähne gruben sich tief in sein Fleisch, durchtrennten Muskeln und Gefäße. Blut füllte Richezas Mund – der Mann schrie –, dann wurde ihr Kopf zurückgerissen. Sie ließ nicht los. Erst als ihre Schläfe gegen einen Stein schlug, öffnete sich ihr Kiefer. Noch einmal riss der Ferkina Richeza am Haar zurück, schmetterte ihren Kopf zu Boden. | |||
Blaue Funken tanzten vor Richezas Augen. Blut platzte aus ihrer Stirn, lief ihr ins Auge. Ein hohes Summen war alles, was sie hörte. Die Steine vor ihrem Gesicht verschwammen. Von allen Seiten her wurde es dunkel. Nur die Steine waren zu sehen, blutbespritzt, ganz nah. | |||
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'''Autor''': [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
"Ratte!", fauchte Rifada und zog das Falcata dem Ferkina über Richeza im selben Moment mit der scharfen Seite durchs Gesicht, in dem er den Kopf ihrer Nichte gegen den steinigen Boden schlug. Vor Wut hatte sich ihr fast ein roter Schleier vor die Augen gelegt, wie es ihr früher häufiger geschehen war, als sie noch nicht gelernt hatte, sich im Kampf zu zügeln und mit klarem Kopf zu kämpfen. Aber mittlerweile war sie keine Ordensknappin mehr, sondern eine Kriegerin von über Fünfzig. So stach sie kaltblütig und ganz gezielt ein zweites Mal zu, riss den gurgelnden Ferkina an seinem Haupthaar und Zottelbart von Richeza herunter und verpasste ihm einen Fußtritt, dass er sich überschlug und schreiend den Abgrund links des Weges hinunterstürzte. | |||
"Hoch, hoch! Steh auf!", rüttelte sie Richeza mit einer Hand kräftig durch und blickte zu den anderen Ferkinas hinüber. Sie musste Richeza hier herauskriegen - das war ihre einzige Pflicht! Um den kleinen Jungen war es zwar schade, und auch die Tochter des Tobriers verdiente kein solches Ende - aber wie sollte sie ihnen in solch einer hoffnungslosen Situation helfen? | |||
Als einzige Hoffnung blieben ihr ihre unfreiwillig erworbenen Sprachkenntnisse und ihre anscheinend nicht unbeträchtliche Reputation bei den Wilden. Sie breitete die Arme weit aus, das blutbefleckte Schwert hoch erhoben und begann zu lachen - so laut und höhnisch, wie sie es nur vermochte. | |||
"Was wollt ihr Schwächlinge?", brüllte sie in der Sprache der Wilden weit schallend über den Berghang. "Ich bin Yil'Hayatim die Grausame, die Kriegs-Shâra der Bosquirier - und euer Hairan schickt mir euch elende Würmer? Wo ist er, dieser Sohn eines feigen Schakals, dass ich mir seinen Kopf hole, wenn er sich mir nicht selbst zum Kampf zu stellen wagt?" | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Romina Alba|Romina Alba]] | |||
Der Schmerz raubte ihr den Atem. Romina zwang sich zu hecheln und weiterzugehen, sie musste in Deckung, musste um dem Felsen herum, hinter Golshan her. Ihre Freundin war mit dem Kind losgelaufen, bestimmt wusste sie, wohin sie lief. Die Comtessa biss die Zähne zusammen und humpelte, so schnell sie konnte, um die Wegbiegung. Sie sah Golshan vor sich. | |||
Die Ferkina schaute immer wieder nach hinten, jetzt gestikulierte sie wild und deutet auf einen Höhleneingang, der zwei Schritt unterhalb des Weges lag. Ein großer Hund kam bellend den Weg herab auf sie zu. Romina drückte sich gegen die Felswand und hob das alte Kurzschwert mit der Linken, doch das Tier sprang hechelnd an ihr vorbei und verschwand um die Biegung. | |||
Sie humpelte weiter, Golshan war schon auf Höhe der Höhle und sprang über einige große Felsblöcke nach unten. Sie verschwand in der Höhle und kam nur kurz danach ohne den Knaben wieder zum Vorschein. Gehetzt schaute sie sich um und kam Romina schnatternd entgegen. Langsam ließ die Comtessa sich auf den ersten Felsen gleiten, nur kurz berührte der Schaft eines Pfeiles die Wand, sie schrie vor Schmerz auf. Golshan nahm Romina energisch an den Schultern und drängte sie gegen die Felswand. Zwei kurze Griffe, zweimal flammte der Schmerz höllisch auf und zwei abgebrochenen Pfeilschäfte lagen am Boden. Dann nahm Golshan die Grafentochter energisch an der Hand und zog sie halsbrecherisch schnell über die Felsen bis in den Höhleneingang. | |||
Dort nahm sie den immer noch schlafenden Knaben einfach über die Schulter, und weiter ging es, wieder mal ins Dunkel der Berge ... Bald schon tasteten die beiden Frauen sich bebend an der Felswand entlang, getrieben von dem Schrecken, der ihrer in den Händen der Ferkinas harren würde. | |||
*''Die Geschichte von Golshan, Domnatella Romina und Domnito Praiodor wird hier fortgesetzt: [[Chronik.Ereignis1033 Feldzug Raschtulswall 16|Schauplatz: Raschtulswall, Teil 16]].'' | |||
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'''Autor''': [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Jemand schüttelte sie. Richeza erwachte zu hellem Schmerz. Alles schmeckte nach Blut und Staub. Blinzelnd öffnete sie die Augen. Die Hand ließ sie los. | |||
Stimmen wie naher Donner zerrissen die Stille. – Ferkinas? | |||
Richeza versuchte, sich aufzurichten. Arme und Beine waren so schwer. Als sie auf allen Vieren stand, wurde ihr übel. Sie erbrach sich auf den steinigen Weg. | |||
Eine neue Stimme hämmerte in ihrem Kopf. Ihre Tante. "Schwächlinge", "Sohn", "Kampf" – Worte drangen in ihr Bewusstsein. Allmählich dämmerte ihr die Gefahr. Sie musste aufstehen. Mit zitternden Fingern zog sie sich an einem Felsblock in den Stand. Jede Bewegung war ein Hammerschlag in ihrem Kopf. Sie würgte. Ihr Magen war leer. Saurer Speichel lief über ihr Kinn. Fahrig wischte sie sich über das Gesicht. Blut, überall. | |||
Sie blickte auf. Ihre Tante stand in der Mitte des Weges und lachte. Ein schmaler Sonnenstreifen teilte die Wolken, Licht spiegelte sich in der blutigen Klinge. Unwirklich. Wie ein Göttergemälde aus den Geschichtsbüchern. Rondra. Zum ersten Mal seit langem verspürte Richeza Ehrfurcht. | |||
Die Ferkinas standen. Zögerten. Wind machte Richeza frösteln. Ein Pfeil zerriss das Bild, schlug in den Harnisch ein. Rifada zuckte nicht einmal. Ein Aufschrei, oben. Ein gedrungener, kräftiger Ferkina hieb mit der Axt auf den Schützen. Zweimal. Ein blutiger Körper rutschte den Hang herab, überschlug sich, blieb liegen. | |||
Gebell. Ein riesiger grau-schwarzer Hund sprang an Richeza hoch, drückte sie gegen den Felsen. Schnupperte. Brummte. Ließ von ihr ab, kläffte Rifada an. Knurrte kurz, jaulte, dann wandte er sich dem Hang zu, ließ ein tiefes, drohendes Grollen vernehmen. | |||
Praiodor! Sie mussten hier weg! Richeza ließ die Wand los. Schwankte. Kämpfte gegen die Übelkeit. Schmerz bei jeder Bewegung. "Kommt!", sagte sie, kaum hörbar bei dem Gebell. Sie wandte sich um, ging Schritt für Schritt bergan, ließ das Geröllfeld zurück. Sah sich nicht um. Betete. 'Herrin Rondra, steh uns bei! Steh meiner Tante bei! Steh ihr bei! Ich hab' dich gesehen! Sie hat es verdient! Sie ist dein. Steh ihr bei! Du hörst mich. Danke. Ich danke dir!' Zum ersten Mal seit über achtzehn Jahren betete sie mit dem Herzen, meinte es ernst. Glaubte, wusste. Und bekam eine Antwort: Zuversicht – größer als aller Schmerz. Lächelnd ging sie weiter. | |||
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'''Autor''': [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Der gedrungene Wilde, der den Bogenschützen getötet hatte, sagte etwas zu den Kriegern in seiner Nähe, dann kam er den Hang herab, trittsicher, achtete kaum auf die Steine, die sich unter seinen Füßen lösten und vor ihm das Geröllfeld heruntersprangen. Ein kurzer Seitenblick zeigte Rifada, dass sie zumindest Zeit schon gewonnen hatte - ihre Nichte war um die Wegbiegung verschwunden. | |||
Etwa zehn Schritt von der Junkerin entfernt hielt der Ferkina an. Als einziger der Wilden mochte er die Dreißig schon fast erreicht haben - alle anderen waren halbe Knaben, höchstens so alt wie Moritatio, viele deutlich jünger, auch wenn Bärte und wettergegerbte Haut sie älter erscheinen ließen und sie an Kraft sämtliche Puniner Hofschranzen in den Schatten stellten. Der Gedrungene schien der Anführer der Gruppe zu sein. Ein [[Bâni Khadr|iban Khadr]], ohne Frage. Er trug eine rostrote Turach, die er lässig um seinen kahl geschorenen Schädel gewickelt hatte. Anders als die anderen Ferkinas hatte er keinen Bart. Sein Gesicht und der muskelbepackte Oberkörper waren mit Ziernarben versehen. Er trug eine Hose aus Lederflicken und fellbesetzte Stiefel. Die Axt in seiner Hand musste ein Beutestück sein: Sie hatte zwei dunkle Metallblätter mit archaischen Ornamenten. | |||
Als er sprach, entblößte der Wilde zwei Reihen angefeilter Zähne. Ein [[Bâni Khadr#Die Sayadim Zhul|Sayad Zhul]]. "Ich bin Djershar der Furchtlose", rief er in der hässlichen Sprache der Bergbarbaren. "Ich fürchte den Sturm nicht, den Donner nicht und den Regen nicht. Ich fürchte das Eis nicht, das Feuer nicht und den Berg nicht. Ich fürchte die Tiere nicht und nicht die Krieger. Am wenigsten aber fürchte ich ein Weib!", rief er abfällig. Die jungen Krieger johlten. Die jüngsten am lautesten. Einige der älteren waren zurückhaltender. | |||
Djershar hob die Axt und setzte seinen Weg fort, sprang von Felsen zu Felsen. Er war gewandt, wirkte aber eher wie ein Wolf als wie ein Berglöwe. Auf einem größeren Stein direkt über Rifada blieb er stehen, hob die Axt zu einem Schmetterschlag - doch dann riss er die schwere Waffe zurück, schlug nicht, sondern stieß zu, nutzte den Vorteil seiner erhöhten Position und rammte Rifada die metallbeschlagene Spitze der Waffe gegen die Brust, mit solcher Wucht, dass sie den Stand verlor und rückwärts auf den Weg krachte. | |||
Mit einem Satz war Djershar neben ihr, hielt sich gerade außerhalb ihrer Reichweite, hob erneut die Axt ... | |||
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'''Autor''': [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Wütend grollend wie ein gereizter Höhlenpanther sprang Rifada aus dem Liegen behende wieder auf die Füße und bleckte die Zähne, die zwar nicht angefeilt waren, wie die des Sayad Zhul-Kriegers, aber deren Weiß wohl doch auch noch für die Wilden in großer Entfernung sichtbar war. "Ich bin kein Weib!" zischte sie Djershar in seiner eigenen Sprache zu - "in bin eine Gesandte der Götter, weil du den Sturm, den Donner und den Regen nicht fürchtest. Auch nicht das Eis, das Feuer und den Berg. Die Götter zürnen dir, Anmaßender, und sie haben mich ausgesandt Dich und Dein Volk zu strafen, ihr feigen Schwächlinge!" Sie hielt das Falcata nun nur einhändig in der Rechten und zog mit der Linken gleichzeitig den Säbel aus dem Gürtel, den sie dem getöteten Hauptmann Giordan Schlehwein abgenommen hatte. Der Wilde mochte mit seiner Axt fürchterlich zuschlagen können - aber um Stiche und Schläge abzuwehren, war seine Waffe denkbar ungeeignet, wie sie aus eigener Erfahrung wusste - erst recht, wenn diese von zwei Seiten gleichzeitig kamen, denn sie verstand sich auf den beidhändigen Kampf vielleicht besser wie jeder andere lebende Mensch in Bosquirien. Ihre Mutter Leonida hatte ihr als junges Mädchen oft den (stärkeren) rechten Arm auf den Rücken gebunden, wenn sie gegeneinander fochten, damit sie auch ihre andere Hand zu gebrauchen lernte. Damals hatte sie ihre Mutter dafür beinahe gehasst - heute war ihr linker Arm fast noch muskulöser als der rechte. | |||
Der Sayad Zhul zog seine hässlichen buschigen Augenbrauen in die Höhe, ob ihrer Rede. Im Gegensatz zu den anderen Ferkinas auf dem Berg glaubte er offensichtlich nicht, mit ihr eine halbgöttliche Inkarnation der Rache vor sich zu haben - aber sie würde es ihn glauben machen! Mit einem Wutschrei schlug der Wilde mit seiner archaischen Axt erneut zu. Rifada parierte den immens harten Schlag funkenstiebend über den Kopf und stieß gleichzeitig mit dem Säbel nach seiner Rippengegend. | |||
"Ay!" sprang der Barbar, halb getroffen, halb überrascht zurück. Seine Haut unter der Armbeuge war aufgerissen, Blut lief ihm an der Seite herab. | |||
Demonstrativ ließ er seine angefeilten Zähne einmal auf- und zuschnappen. "Jetz' ich bring um Dir, Yil'Hayatim!" knurrte er in überraschend passabel verständlichem Garethi. | |||
Rifada bemerkte, daß er mit seinen zusammengekniffenen Augen das markante Praiosamulett fixierte, das über ihren großen Brüsten baumelte, welches Richeza und sie aus dem Elenter Inquisitionsturm gerettet hatten - es hatte früher einmal der mächtigsten ihrer beider Vorfahren gehört - Sonnengebieterin Praiana der Gleißenden. | |||
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'''Autor''': [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Hinter sich hörte sie die Rufe eines Ferkinas, das Jubeln der Wilden, dann Kampfeslärm. Richeza drehte sich nicht um. Sie konnte nichts für ihre Tante tun. Deren Schicksal lag in Rondras Händen. | |||
Nach fünfzig Schritt blieb die Edle stehen. Der Weg wurde immer steiler, war aber für einige Zeit gut einsehbar. Von der Comtessa und ihrer Begleiterin war nichts zu sehen. So schnell konnten die beiden doch gar nicht sein! Abgestürzt waren sie wohl auch nicht, das hätte man gehört. Richeza warf einen vorsichtigen Blick in den Abgrund, erspähte tief unten den zerschmetterten Leib ihres Angreifers. Die beiden Frauen mussten sich versteckt haben. | |||
"Praiodor!", rief sie, "Comtessa!" – und zuckte zusammen: Ihre eigene Stimme schmerzte in ihrem Kopf. | |||
Keine Antwort. Richeza wurde unruhig. Sie konnte nicht einfach weitergehen! Falls die Ferkinas sich zu zwanzigst auf ihre Tante stürzten, würde die sie nicht lange aufhalten können. Und sie selbst war zu langsam: Auf dem Weg würden die Wilden sie entdecken und rasch einholen. Was aber, wenn die Barbaren die Comtessa und Praiodor vor ihr fanden? | |||
Eine schreckliche Ahnung erfasste Richeza: Was, wenn die Wilde die Comtessa nun doch erdolcht hatte und mit Praiodor geflohen war? Richeza presste sich die Handflächen an die Schläfen. "HOLA? DOMNATELLA!" Ihr Magen rebellierte. Sonst blieb es still. | |||
Frustriert blickte sich Richeza nach einem Versteck um – und entdeckte auf dem tiefer gelegenen Felsplateau, das sie gerade passiert hatte, einen Höhleneingang. Vorsichtig ließ sie sich die großen Felsblöcke hinunter, zog den Dolch und verharrte im Eingang, bis ihre Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. | |||
Die Höhle war leer. Sie sah auch nicht bewohnt aus. Als Richeza weiter hineinging, entdeckte sie drei Öffnungen am hinteren Ende. "Praiodor!", rief sie noch einmal. Schwindelnd hielt sie sich an der Wand fest. | |||
Sie musste warten und hoffen, dass ihrer Tante das Unmögliche gelang. Richeza spürte die Zuversicht allmählich schwinden. 'Wenn Fenia mir in die Finger gerät!', dachte sie wütend und kroch in den linken Durchgang. Fenia! Sie hatte ihre Tante gar nicht gefragt, was aus Praiodors Mutter geworden war! Entweder, sie war tot oder aber, Rifada da Vanya hatte die Frau nach Hause geschickt. Nein, dachte Richeza. Unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher war, dass der Junge seiner Mutter verloren gegangen war. Seltsam, sie hatte ihre Tante überhaupt nicht gefragt, wo diese ihren Vetter gefunden hatte! Und jetzt war er ihr erneut abhanden gekommen. | |||
Richeza stöhnte und ließ sich zu Boden sinken. Es hatte keinen Sinn, hier irgendwo in die Dunkelheit zu kriechen. Sie musste den Höhleneingang im Auge behalten. Sie durfte nicht auch noch ihre Tante verlieren! Und falls die Ferkinas ... doch kamen ... dann musste sie eben so schnell wie möglich in irgendeiner Nische verschwinden. | |||
Richeza setzte sich mit dem Rücken zur Wand des Ganges, legte das Gesicht an den kühlen Stein und blickte zurück zur Höhle, wo sich verschiedene Felsen vor dem Sonnenlicht abzeichneten. Sie konnte den Weg von hier aus überhaupt nicht sehen. Aber sie wagte nicht, ihr Versteck zu verlassen. So betete sie erneut zu Rondra. Kurz zog sie in Erwägung, auch die anderen Elf anzurufen. Travia vielleicht oder Tsa, wegen des Jungen? Aber etwas in ihr sträubte sich. Der alte Stolz verbot es ihr. Ihre ''Tante'' hatte Praiodor gefunden, nicht ''Travia''! 'Ehre, wem Ehre gebührt!', dachte sie trotzig, schloss die Augen und merkte nicht, wie ihre Gedanken immer weiter abschweiften. | |||
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'''Autor''': [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Richeza schreckte hoch. Sie war eingenickt! Sie wusste nicht, ob nur wenige Herzschläge vergangen waren, ein Wasserlauf oder eine Stunde. Für einen Moment war ihr gewesen, als hätte sie Schreie gehört. Praiodor? – Nichts. Richeza rappelte sich auf. Ihr schwindelte, und ihr war kalt. Waren da nicht Stimmen? Kamen die aus der Höhle? Den Dolch erhoben hielt die Edle auf das Licht zu. | |||
Die Höhle war leer. Aber noch immer meinte sie, sehr, sehr leise Stimmen zu hören. Hinter sich. Kamen die aus einem der anderen Gänge? Richeza näherte sich den Öffnungen in der Felswand und horchte. | |||
Nichts. | |||
Oder von draußen? Vorsichtig spähte sie aus dem Höhleneingang. Ja, da waren Stimmen. Das Rufen von Ferkinas. Richeza wusste nicht zu sagen, ob es zornig klang, triumphierend oder furchtsam. Verdammt, wenn sie nur wüsste, wie viel Zeit vergangen war! Was, wenn ihre Tante an der Höhle vorbei gegangen war? – Was ... wenn sie ... | |||
Halt, waren da nicht ...? | |||
Noch einmal ging Richeza zur fernen Seite der Höhle. "PRAIODOR!", schrie sie in die Gänge hinein. Ihre Stimme hallte dumpf von den Wänden wider. "PRAIODOR!", rief sie noch einmal, ungeachtet des Schmerzes, der ihren Schädel zu zerreißen drohte. | |||
Nichts. Keine Antwort. | |||
Was sollte sie nur tun? Wenn sie nur wüsste, wo sie suchen sollte. Was, wenn die Comtessa und die Wilde doch weiter den Berg hinauf gegangen waren? Richeza legte die Finger an die Lippen und blickte zu Boden. Sie musste nachdenken. Wenn die Comtessa irgendwo hier war, dann hatte sie ihr Rufen zweifelsohne gehört. Nur: Wieso antwortete sie nicht? Hatte sie solche Angst, entdeckt zu werden, dass sie nicht einmal antwortete, wenn sie Richezas Stimme erkannte? | |||
Wenn nur ihr Kopf nicht so schmerzte! Müde rieb sich Richeza die Augen. Das getrocknete Blut spannte auf ihrer Haut. Nein, die Comtessa war nicht hier. Sie mussten weitergegangen sein. Richeza trat erneut in den Höhleneingang. Dort hinauszugehen war Wahnsinn! Sie wäre den Ferkinas hilflos ausgeliefert! | |||
Aber wenn sie hier bliebe, würde sie verhungern. Schlimmer noch: Sie würde die anderen niemals wiederfinden, wenn diese weitergegangen waren. Es half alles nichts – sie war zu schwach. Sie musste warten. Wenn es dunkel würde, würde sie die Höhle verlassen und sich auf die Suche begeben. | |||
Bedrückt schlich Richeza zurück in ihr Versteck, hockte sich auf den Boden, die Arme um die Beine geschlungen, das Kinn auf den Knien. Und wartete. | |||
*''Die Geschichte um Domna Rifada und Domna Richeza wird hier fortgesetzt: [[Chronik.Ereignis1033 Feldzug Raschtulswall 17|Schauplatz: Raschtulswall, Teil 17]].'' | |||