Chronik.Ereignis1033 Feldzug Raschtulswall 07

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Kaiserlich Selaque, 16. bis 19. Praios 1033 BF

Rund um die Ortschaft Elenta


Unterwegs in Kaiserlich Selaque

Autoren: von Scheffelstein, SteveT, Der Sinnreiche Junker von Aranjuez

16. Praios

Nachdem sie die gefallenen Mercenarios und den Leichnam der Inquisitorin an der rückwärtigen Seite des Inquisitionsturmes in Elenta bestattet hatten, kehrten Domna Rifada da Vanya, Dom Moritatio da Vanya, Domna Richeza von Scheffelstein und Dom Hernán von Aranjuez in Begleitung von Anzures Ballan und den sechs überlebenden Mercenarios zurück zum Castillo da Vanya. Der Nachmittag war bereits fortgeschritten, und niemand verspürte das Bedürfnis, an diesem Tag noch einmal Ferkinas zu begegnen, auch wenn Domna Rifada betonte, dass es ihrer aller heilige Pflicht sei, das Rossbanner der heiligen Hadjinsunni so rasch wie möglich aus den Händen der Barbaren zu befreien. Es dämmerte bereits der Abend, als die Magnaten das Castillo da Vanya erreichten.Wie schon bei ihrem ersten Eintreffen waren Zugbrücke und Fallgatter der Barbakane der für einen Junkersitz auffällig großen Burg geschlossen und wiederum schallte vom Torturm die Frage herab: "Parole?", obwohl sie der Türmer im Licht des Abendrots gewiss allesamt noch sehr gut erkennen konnte.

"Euch Trottel soll der Blitz beim Scheissen treffen!", brüllte Junkerin Rifada statt einer Antwort hinauf. "Seid ihr denn blind, dass ihr eure eigene Herrin nicht erkennt?" Kopfschüttelnd wandte sie sich leiser an ihren Sohn: "Welchen Tag haben wir heute?" "Windstag, Mutter!", antwortete dieser. "Die Parole lautet heute also ..."

"TOD DEM ROTEN DRACHEN!", brüllten Mutter und Sohn unisono hinauf - eine Anspielung auf die Feindschaft zum Hause Harmamund, die aus dem 'Ragather Rosenkrieg' hervorgegangen war. Tatsächlich setzen sich sofort die Ketten der Zugbrücke rasselnd in Bewegung, und das Fallgatter wurde quietschend emporgezogen um die Gruppe in den Burghof zu lassen, wo sogleich einiges Gesinde und der Hausherr, Domna Rifadas Ehegemahl Berengar von Schlehen, zusammenliefen.

"Liebling! Du bist schon zurück", freute sich dieser und wollte seine Frau umarmen, die ihn aber mit dem Ellenbogen wie einen lästigen Bittsteller auf Distanz hielt, sodass er stattdessen nur seinen Sohn umarmte und auch seiner angeheirateten Nichte Richeza freundlich übers Haar strich. Vor Dom Hernán verbeugte er sich tief.

"Schon gut, schon gut Berengar! Sorg dafür, dass uns ein anständiges Mahl aufgetischt wird! Aussdem brauche ich sogleich einen Schreiber - ich habe einen Brief zu diktieren!", spornte ihn seine Gemahlin an, auf der Stelle in hektische Betriebsamkeit zu verfallen. Dom Berengar nickte anfangs eilfertig, blickte sie dann aber etwas konsterniert an: "Aber ... aber, mein Liebling - wir haben doch gar keinen Schreiber. Hast du das vergessen? Für solche Dinge haben wir kein Geld!"

Ein vernichtender Blick seiner Gattin ließ den untersetzten Mann scheinbar noch kleiner werden, da seine Schultern nach unten sackten. "Das weiß ich!" giftete ihn die Junkerin an, die sich vor allem darüber ärgerte, dass der Einfaltspinsel so etwas vor Fremden wie Dom Hernán ausplaudern musste. Der Dubianer musste ja glauben, dass sie - als altfürstliches Geschlecht - geradezu am Hungertuch nagen würden, was von der Wahrheit doch weit entfernt war. "Du sollst mein Schreiber sein! Meine eigene Klaue ist zu unleserlich, wenn ich wütend bin, und glaube mir, wir haben heute noch nichts außer Zorn gefressen! Also los jetzt - subito! Das gilt für alle, ihr Faulpelze!"

Auf der Stelle kam Bewegung in das vorher gaffende Burggesinde, und kaum eine halbe Stunde später saßen Hausherrin und Hausherr, ihr Sohn, Domna Richeza und Dom Hernán beisammen an der langen Tafel im Rittersaal des Castillos, an der sie schon heute Morgen ihr Frühmahl eingenommen hatten. Der Großinquisitor war inzwischen abgereist - nicht gen Selaque, wie Domna Rifada vermutete, sondern nach Norden, in einer kirchlichen Mission in Richtung des Reichsforstes, wie Dom Berengar berichtete.

Während für alle anderen Teller mit gebratenem Kapaun aufgetragen wurden, hatte Dom Berengar Schreibzeug vor sich liegen und spitzte seine Schreibfeder mit einem scharfen Messerchen an, als ihm seine Gattin - dabei mit vollem Mund kauend - zu diktieren begann: "Also los - schreib: An Dom Brandil Doppelpunkt ..."

Dom Berengar nickte und begann zu schreiben - er schrieb und schrieb, und bald waren drei Zeilen auf seinem Pergament gefüllt, ohne dass Domna Rifada ein weiteres Wort diktiert hätte. Diese trommelte ungeduldig mit den Fingern auf der Tischplatte, bis sie irgendwann losschimpfte: "HimmelHerrPraios nochmal, Berengar! Wie lange brauchst du denn, um drei kleine Worte zu schreiben?"

Dieser schüttelte spitzfindig den Kopf: "Ich habe natürlich geschrieben: Zu Händen des hochwohlgeborenen Herrn Grafen Brandil Ingenius Leoderich von Ehrenstein und Streitzig älteren Hauses, Graf von Caldaia, Ragatien und Bosquirien, Markherr von Ragathsquell, Großkomtur des Ordens vom wundersamen Rossbanner der Heiligen Hadjinsunni zu Blutfels, Edler von Natym, Molay, Paraenen und Arbasim, Marktherr von Schlangentodt, Wormsalt, und Sebeloh, Ritter zu ..."

Rifada ließ ihr Essmesser geräuschvoll auf den Tisch fallen und es dann - mit der Spitze voran - die lange Tafel hinunterrutschen, wo ihr Ehegemahl ihr am anderen Kopfende der Tafel gegenüber saß. "Schneid' das alles weg und fang nochmal von vorne an! Du schreibst nur haargenau das, was ich dir sage! Wenn du den Torbier 'Hochwohlgeboren' oder 'Graf' nennst, denkt er am Ende noch, ich würde seine Ansprüche auf den Marmorthron anerkennen, was ich aber keineswegs tue! Also los, schreib: An Dom Brandil ..."

Berengar von Schlehen schluckte: "Aber du kannst einen Brief an den Grafen doch nicht einfach mit 'Dom Brandil' beginnen ..."

Rifada kratzte sich am Kopf: "Hm, du hast vielleicht Recht! So redet man Landsleute an, aber er ist ja bloß ein Auswärtiger. Also lass das 'Dom' weg - schreib einfach nur: 'An Brandil von Ehrenhain oder Ehrenstein oder wie immer diese Tobrier heutzutage heißen mögen!"

Kopfschüttelnd schrieb ihr Mann tatsächlich nur 'An Brandil von Ehrenstein-Streitzig'.

Domna Rifada fuhr während des Essens weiter mit ihrem Diktat fort: "Ich muss Euch mitteilen, dass der von Euch entsandte Orden vom wundersamen Roßbanner von einem der Wildenstämme des Raschtulswalls in der Nähe meiner Besitzungen ausgemordet wurde und dass sich Eure Tochter mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Hand der Wilden befindet oder ebenfalls bereits tot ist."

"Ähem, wäre es nicht vielleicht taktvoller und vor allem mitfühlender", versuchte Dom Berengar vorsichtig einen neuerlichen Einwand, "den Brief mit den Worten einzuleiten: 'Zu meiner allergrößten Bestürzung und Trauer muss ich Euch leider mitteilen ...?'"

"Was soll die Heuchelei?", brauste Domna Rifada auf. "Wenn die Sippe deines Gegners geschwächt und dezimiert wird, daran kann ich nichts Schlechtes finden! Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, als Frau in der Gefangenschaft dieser Tiere zu geraten. Darum - und nur darum! - werden wir auch versuchen, das Mädchen dort herausholen, wozu ich gleich noch kommen werde. Wenn wir sie aber tatsächlich lebend befreien, und sie stürzt nach ihrer Befreiung auf dem Rückweg in eine tiefe Schlucht, so wird mir das ganz gewiss nicht den Tag vermiesen. Diese Leute gehören einfach nicht hierher - das ist UNSER Land!" Sie machte eine weitausholende Geste, die Domna Richeza, ihren Sohn - ja sogar auch Dom Hernán miteinschloß. Dann wank sie ab: "Aber gut - weiter im Text ..."

Tatsächlich flatterte kurz nach Sonnenaufgang des nächsten Tages eine Brieftaube mit einer - sehr kurzen und kühlen - Nachricht vom Bergfried aus in Richtung der Grafenfeste von Ragath.

17. Praios

Als der Morgen des nächsten Tages angebrochen war, ließ Domna Rifada ihre Nichte wecken und hieß sie, sich nach dem Frühmal im Burghof einzufinden, um ihren erbarmungswürdigen Umgang mit dem Säbel zu verbessern. Zwar hatte ein Bad am vergangenen Abend die Lebensgeister der Edlen zurück in ihren geschundenen Leib gerufen, dennoch war sie wenig angetan von der Vorstellung, mit ihrer muskelbepackten Tante die Klinge zu kreuzen. Ihr linker Oberarm hatte sich dort, wo die Axt sie getroffen hatte, blau und rot verfärbt und ließ sich kaum bewegen, und ihre Rippen sahen nicht besser aus. Domna Rifada aber zeigte wenig Nachsicht und herrschte ihre Nichte nach deren ersten, halbherzigen Schlägen an, sie solle sich nicht so anstellen wie eine Yaquirtaler Laffentochter, die Ferkinas würden gewiß auch keine Rücksicht nehmen auf die Befindlichkeiten eines Zuckerpüppchens. So biss die Landedle grimmig die Zähne zusammen und ließ sich von der Junkerin kreuz und quer über den Burghof scheuchen, zu Fuß erst und dann auf ihrem Ross. Zwar merkte sie, dass sie nicht alles vergessen hatte, was Abelardo Mansarez, der Hauptmann der Leibgarde ihres Großvaters ihr beigebracht hatte doch hatte sie weitaus mehr Zeit mit ihrem Haus- und Fechtlehrer, Omar Melekh ibn Jikhbar, verbracht, sodass ihr seine Lieblingswaffen, Degen und Rapier, deutlich besser in der Hand lagen.

Obwohl Domna Rifada nur mit stumpfer Klinge kämpfte und ihre Schläge nicht immer mit voller Kraft durchzog, zierten Domna Richezas Arme am Ende der Übungsstunde weitere blaue Flecken. Nichtsdestotrotz drängte Domna Rifada darauf, gleich nach dem Mittagsmahl aufzubrechen, um die Kate des Heilers zu suchen, die sich südlich von Elenta an einem Waldrand befinden sollte. Aus dem Inquisitionsturm hatten sie sämtliche Dokumente mitgenommen, die sie über Tsacharias Krähenfreund und seine Verwandten hatten finden können. Neben einer Akte über den Heiler selbst hatten sie auch eine über Udinia gefunden, die wohl seine Schwester war und laut der verstorbenen Inquisitorin ebenfalls wenig perainegefälligen Heilkünsten nachging. Den Schriftstücken hatte man entnehmen können, dass Tsacharias und Udinia Krähenfreund einer Hirtenfamilie entstammten, deren Mitglieder rings um Elenta ansässig waren. Die Kiste schließlich, die Domna Rifada in der Asservatenkammer gefunden hatte, hatte einige Tiegelchen und Tonfläschchen enthalten, die – bis auf eines – zerbrochen waren, als die Vanyadâlerin die Truhe aus dem Fenster des Turmes auf die Ferkinas hinabgeschleudert hatte. Beschmutzt zwar mit der ausgelaufenen Flüssigkeit, hatten sie ein Pergament retten können, das eine Zeichnung – oder eine Karte? – zeigte, mit der niemand etwas hatte anfangen können. Auch die Schriftzeichen, die am Rand des Pergaments abgebildet waren, konnte keiner der Magnaten entziffern.

Tsacharias' Kate zu finden, war trotz der Angaben der Inquisitorin nicht leicht. Und so wurde es Abend, ehe sie die hinter blühenden Sträuchern verborgene Hütte entdeckten, aus deren Dach eine junge Birke wuchs, und die auch sonst einen lange verlassenen Eindruck machte. Ein Reh floh aus dem verwilderten Garten, als sie sich dem Häuschen näherten. Die Kate hatte nur ein Zimmer, spärlich möbliert mit einer Bettstatt, einem Tisch und einer Truhe, deren Holz von Pilzen befallen war. Der festgestampfte Lehmboden war mit Brennnesseln überwuchert, die Feuerstätte von Spinnweben verhangen. Sie stellten alles auf den Kopf, doch außer zerbrochenen Tonkrügen, schimmligen Lumpen und einem rostigen Messerchen fanden sie nichts, was auf den einstigen Bewohner hindeutete. Das, was die Inquisitorin nicht beschlagnahmt hatte, hatten wohl Plünderer – vor oder nach ihr – entwendet.

Enttäuscht, keine weitere Hinweise auf Tsacharias Krähenfreund gefunden zu haben, sprach Domna Richeza sich dafür aus, sich in Elenta nach den Verwandten des Heilers zu erkundigen. Nach einigem Hin und Her schlug Domna Rifada vor, in Elenta zu nächtigen, um am nächsten Tag keine Zeit zu verlieren. Auf dem geplünderten Anwesen eines Vetters Domna Praiosmins bezogen sie Quartier. Und während die Mercenarios des Dubioser Barons und Domna Rifadas Kriegerinnen, die sie von der Burg mitgenommen hatte, sich während der Wache misstrauisch gegenseitig beäugten, machten es sich die Adligen bequem in den Betten der in der Wohnstube grausam hingeschlachteten Familia von Elenta.

Tief in der Nacht spürte Domna Richeza im Halbschlaf, wie jemand sacht über ihr auf dem Kissen ausgebreitetes Haar strich und eine weitere Decke - oder einen Umgang? - über sie legte. Am nächsten Morgen fand sie ihren Vetter Moritatio zusammengerollt zu Füßen ihres Bettes, und es war tatsächlich sein Umhang, den er in der Nacht über sie gebreitet hatte, obwohl er dadurch selbst ohne Zudecke hatte schlafen müssen.



Chronik:1033
Der Ferkina-Feldzug
Teil 07