Im Raschtulswall, 26. Praios 1033 BF

In den Bergen, am Djer Kalkarif

neues Kapitel

Am frühen Morgen des 26. Praios 1033 BF,
vor der Ruine von Tsacharias Krähenfreunds alter Hütte

Autor: SteveT

Mißmutig streckte Moritatio seine verspannten Glieder, was jetzt scheinbar jeden Morgen zur Gewohnheit wurde, da ihre Schlafplätze von Nacht zu Nacht immer unbequemer wurden. Er war offenbar sogar als Letzter erwacht, der alte Heiler war schon dabei, auf allen Vieren irgendwelche Beeren zu pflücken, die hinter den Überresten seiner ehemaligen Wohnstätte wucherten und die junge Zaida ging ihm dabei zur Hand. Dom Gendahar stand mit gesenktem Kopf und gefalteteten Händen vor dem provisorischen Grab, das sie gestern abend noch für seine Anverwandte gegraben hatten. Moritatio trat stumm hinter ihn und betrachtete das Boronsrad, das Zaida nicht einmal ungeschickt geflochten hatte.

"Ich weiß, dieser Ort ist einer Magnatin aus altem Hause unwürdig!", legte er dem Streitziger schließlich die Hand auf die Schulter. "Aber es ist nur vorübergehend! Nach unserer Rückkehr nach Almada verständigen wir die Boronis von Ragathsquell und fragen sie um Rat. Sobald die Zeiten wieder ruhiger und die Ferkinas zurückgeschlagen sind, können wir noch einmal hierher zurückkehren, damit ihre Gebeine in der Familiengruft derer von Culming beigesetzt werden können, wie es ihr gebührt!"

Dom Gendahar nickte: "Ja, das bin ich ihr schuldig! Wie Ihr sagtet, schmerzt es mich, den Leib meiner toten Base hier in diesem Armengrab in der Wildnis zurückzulassen."

"Wie ich gestern schon sagte," wiederholte Moritatio und ging mit ihm zu den anderen beiden hinüber, "wir müssen jetzt an die Lebenden denken und vor allem anderen versuchen, Richeza wiederzufinden. Vielleicht hat Eure Base den Jungen gar nicht dabei gehabt - das hieße, das wir hier alle unser Leben umsonst riskieren, während daheim eine Tyrannin die Burg meiner Mutter besetzt hält. Dazu kommt noch, dass gestern mein Heimaturlaub endete - jetzt, heute morgen müsste ich mich eigentlich wieder in der Garnison der Hofjunker melden ..."

Der Streitziger zog amüsiert eine Augenbraue in die Höhe: "Das dürfte etwas schwierig werden, es noch rechtzeitig bis nach Punin zu schaffen."

Moritatio stand der Sinn nicht nach Späßen: "Verspottet mich nicht - Ihr kennt nicht meinen Colonello! Filippo di Lacara ist der Namenlose in Menschengestalt - er wird mich schrecklich bestrafen, wenn ich zurückkehre - wahrscheinlich macht er schon heute der Hofmarschallin oder gar dem Kaiser höchstselbst Meldung über meine Pflichtvergessenheit - damit kann ich jegliche Hofkarriere begraben."

"Ihr solltet den Namen des unheiligen Widersachers der Zwölfe nicht so leichtfertig in den Mund nehmen", mischte sich Tsacharias Krähenfreund ungefragt in ihr Zwiegespräch ein. "Ihr seid wahrlich ein törichter junger Mann, der sich um unwichtige Dinge sorgt, wo wir um das Leben eines unschuldigen Kindes bangen müssen!" Er schüttelte verständnislos den Kopf und hielt Moritatio und Gendahar trotzdem zwei Hände voll roter Beeren entgegen, die überraschend süß und aromatisch schmeckten, obwohl sie noch keiner der beiden Magnaten je zuvor gesehen hatte.

"Was weißt du schon vom Hof und dem echten Leben, alter Eremit", wank Moritatio verächtlich ab. "Ich wette, du hast deinen Lebtag noch nicht den Glanz der Paläste der Capitale gesehen. Aber was sollen wir uns streiten ... Zaida, dein Vorschlag in allen Ehren ... aber Richezas ... äh ... 'Losung' als Riechmuster für Raffzahns Spürnase zu nehmen, erscheint mir doch etwas respektlos ihr gegenüber. Ich werde es erst einmal mit dem Umhang versuchen, mit dem ich sie nachts mehrmals zugedeckt habe, während sie schlief. Raffzahn! Wo steckt die verfluchte Töle überhaupt?"

Wie auf Bestellung, allerdings erst, nachdem Zaida und Tsacharias ebenfalls seinen Namen gerufen hatten, kam Raffzahn aus dem Gebüsch hervor, der irgendein totes Tier im Maul anschleppte, das wie eine Mischung aus einem Hasen und einem Erdhörnchen aussah.

"Ah, guter Hund! Hierher, Raffzahn!", rief ihn Moritatio. "Er bringt uns sogar gleich noch etwas zum Essen mit, was immer das auch für ein Viech sein mag."

"Böse!", schimpfte dagegen Tsacharias Krähenfreund mit ihm. "Wie oft soll ich dir sagen, dass du keine Tiere töten und hier anschleppen sollst? Den armen Kalkarif-Springlöffler macht niemand mehr lebendig!"

"Ja, ja!", verdrehte Moritatio die Augen, dem das tsaistische Weltbild des Alten langsam aber sicher auf die Nerven ging. Er reichte den toten Springlöffler an Zaida - den konnte man dann vielleicht später zum Mittagessen braten - und holte selbst seinen Umhang aus dem Rucksack, den er Raffzahn unter die Nase hielt: "Riech, guter Hund! Wo ist die Richeza? Such! Los! Na jetzt riech doch! Hopp Hopp!"

Raffzahn begann mit dem Schwanz zu wedeln und biß dann in den Umhang, um spielerisch daran zu ziehen. Er ging er davon aus, daß der Mensch mit ihm eine Art Tauziehen spielen wollte.

"Was machst du denn, dämlicher Köter! Suchen sollst du! Riechen! Hörst du wohl auf mit dem Bockmist, du beißt mir ja Löcher in das gute Cape!", schimpfte Moritatio verzweifelt. Mit einem Male setzte sich Raffzahn doch in Bewegung und lief wieder in Richtung des Felsenmeeres und des Djer Kalkarifs. "Da! Jetzt hat er tatsächlich ihre Witterung aufgenommen! Schnell! Folgen wir ihm!", packte Moritatio blitzgeschwind seine Siebensachen zusammen und heftete sich an die Fersen des gescheckten Wolfshundes.

"Nein! Nein!", schüttelte Tsacharias Krähenfreund den Kopf. "Er weiß bloß, wo es zu meiner neuen Hütte geht. Er läuft nach Hause, weil dort eine kleine Tanne steht, an die er am allerliebsten pinkelt."

"Wie dem auch sei!", wandte sich Moritatio etwas weniger enthusiastisch um, der die gebrummelten Worte des Alten gehört hatte. "Wir müssen so oder so noch einmal auf den Djer Kalkarif zurück. Falls die Wilden Richeza gefangen haben, werden sie sie in ihr Lager schleppen, das wir gestern vom Gipfel aus gesehen haben. Ich schlage vor, wir nehmen dieses Lager noch einmal etwas genauer in Augenschein - selbst wenn Richeza nicht von ihnen gefangen wurde, was ich sehr hoffe, dann besteht trotzdem die Möglichkeit, dass Eure gräfliche Nichte dorthin verschleppt wurde, Dom Gendahar."


Autor: Simanca

Zaida grummelte und stiefelte Moritatio nach, derweil sie den Springlöffler in einen Beutel stopfte und sich umhängte. Ein kurzer Blick zurück, ob Dom Gendahar, der für sie ob solch überragender Kampfkunst mittlerweile schon dicht hinter der hochverehrten Domna Romina an Verehrungswürdigkeit rangierte, und Meister Tsacharias ihnen folte, dann wandte sie sich an Moritatio. "Verzeihung Höchsturlaubsloser", ging ihr Mundwerk da wieder mit ihr durch, "Ihr kennt Euch vielleicht mit dem Hofleben aus, aber mit der Jagd habt ihr es wohl nicht so. Wie soll denn Raffzahn HIER Domna Richezas Spur aufnehmen?" Sie bedeutete mit schwungvoller Geste rundherum. "Er braucht doch wenigstens eine Fährte, bei der er ansetzen kann... mag der Mantel dazu dienen, ohne ihre Spur wird der arme Rafzahn nicht weit kommen." Energisch verteidigte sie den Hund. Der Dom mochte ja auch recht passabel kämpfen können und sie dankte ihm vielmals dafür im Stillen, dass er mehr als einmal dabei geholfen hatten, ihren Hals zu retten, aber mit Hunden kannte er sich ja nicht sonderlich gut aus, schien ihr. "Wir machen das schon Raffzahn, du schnupperst dranne und dann schauen wir, ob die Fährte von der Domna runter ins Lager führen, zu dem wir wollen, das kannst du doch, oder? Guter Hund", redete sie unablässig auf das große Tier ein und tätschelte ihm den massigen Schädel. "So ein feiner, so einen wie dich will ich auch..." Leise redete sie weiter auf das Tier ein, ein kurzer Blick zu Dom Gendahar und Tsacharias zurück, so ging es eilig weiter.

Chronik:1033
Der Ferkina-Feldzug
Teil 15